„Viele Multi-Themenfonds sind Placebos”
Procontra:
Sie berichten von einer regelrechten Welle neuer Themenfonds, die über die Fondsbranche hereinbrechen würde. Woran machen Sie das fest?
Björn Drescher:
Werfen wir doch einfach mal einen Blick auf die Neuauflagen von Publikumsfonds in Deutschland seit Beginn des vergangenen Jahres. Da finden wir allein schon ein gutes halbes Dutzend Fonds zum Thema „Metaverse“, die sich das zukünftige Geschäft mit virtuellen Welten erschließen wollen. Häuser wie Axa, Invesco, Franklin Templeton, Fidelity und Legal & General haben sich als Erste auf die Bühne gewagt – und wir können nur erahnen, wieviele weitere sich mit dem Gedanken tragen, den Beispielen in Kürze folgen zu wollen. Ähnliche Entwicklungen kann man unter Schlagworten wie „Digital Health“, „Cloud Computing“, „Cyber Security“ und anderen beobachten. Hinzu kommen zahlreiche Auflagen multithematischer Fonds.
Drescher:
Je länger sich die aktuelle Phase fallender Aktienkurse hinzieht, desto eher könnten wir in einiger Zeit den Scheitelpunkt der derzeitigen Welle gesehen haben. Schließlich sind viele der Themenfonds Kinder der vergangenen Technologie-Hausse und der in ihrem Umfeld entstandenen Kursphantasie. Die nicht selten hohen zweistelligen Kursverluste der vergangenen Monate haben in der Begeisterung vieler Anleger Bremsspuren hinterlassen und für Ernüchterung gesorgt. Fragen werden daher wieder laut, die lange nicht mehr gestellt wurden. Ob wir uns aber in der näheren Zukunft mit einem weiteren Bedeutungszuwachs und einer noch stärkeren Differenzierung der Themenfondswelt beschäftigen oder mit einer entgegengesetzten Entwicklung, also einer Reduktion oder Auslese, hängt vor allem vom Börsenverlauf der nächsten Monate ab.
Procontra:
Sie sagen, es werden Fragen wieder laut, die lange nicht gestellt wurden. Welche sind das?
Drescher:
Zum Beispiel die Frage nach dem Sinn und Unsinn thematisch fokussierter Fonds. Anlässlich unserer Konferenz „Petersberger Treffen“ sind wir dieser Frage im Sommer 2022 intensiver nachgegangen. Es stellen sich aber auch die Fragen nach dem Timing derart spezialisierter Investmentlösungen, nach der notwendigen Diversifizierung von Assets und Risiken, nach dem Unterschied zwischen Branchen- und Themenfonds und nach der Prozyklik von Investmentstrategien. Und schließlich auch die Frage, ob das Storytelling mit Produkten eher den Anlegern oder den Anbietern zugutekommt. Es gibt in diesem Zusammenhang allerdings keine pauschal „richtigen“ oder „falschen“ Antworten. Sie ergeben sich im Einzelfall aus der Perspektive, der Risikobereitschaft, der Mentalität und dem Anlagezeitraum des möglichen Anlegers.
Procontra:
Auch wenn es pauschal keine dezidierte Antwort gibt: Wozu tendieren Sie nach Ihrer Beobachtung, wem Storytelling mehr nutzt: Anbietern oder Anlegern?
Drescher:
Ein Themenfonds bietet Anlegern die Möglichkeit, sich über ein interessantes Zukunftsthema, also eine „Geschichte“, mit ihren Investments besser zu identifizieren und stärker zu binden. Gleichzeitig ist er aber auch ein Appell an die Gier. Frei nach dem Motto: „Warum wollt Ihr liebe Investoren euch mit anderen Titeln des Universums belasten, die vermutlich weniger stark performen werden als die Unternehmen in unserem Portfolio? Werft Ballast ab! Fokussiert Euch!“ Was aber meist nicht dazugesagt wird: Die Konzentration des Portfolios erfolgt um den Preis einer geringeren Risikostreuung. Der Ballast von heute kann der Stabilisator oder Performance-Treiber von morgen sein. Ich erkenne zwar die Möglichkeit an, Anleger über Stories an Börseninvestments heranzuführen und für die Aktienanlage zu begeistern. Ich sehe aber auch die Gefahr der Prozyklik! Anleger werden nicht selten erst dann auf ein Thema aufmerksam und investieren, wenn der Zyklus bereits zu einem großen Teil gelaufen ist. Bisweilen kommen Investoren dann pünktlich für die kalte Dusche.
Drescher:
Mit Blick auf das Marketing neige ich dazu, den größeren Nutzen des Storytelling auf der Anbieterseite zu sehen. Es erleichtert kreatives Design von Produkten und deren Vertrieb. Das Thema wird zum Transmissionsriemen. Solange beide Seiten davon profitieren, ist das auch nicht verwerflich. Es kann jedoch bei falschem Erwartungsmanagement zu Enttäuschungen führen! Auch von daher mache ich mich sehr für Transparenz im Sinne der Produktwahrheit und -klarheit stark. Jeder sollte gut darüber informiert werden, was er kauft.
Drescher:
Die unglaubliche Phantasie – man könnte auch sagen: das Zauberpulver –, das sich mit dem Thema „virtuelle Welten“ verbindet! Und der Interpretationsspielraum, der im Zuge ihrer Entwicklung noch lange bestehen bleibt. Dies erlaubt es jedem, auf das Thema zu projizieren, was er möchte. Einerseits ist klar, dass das Metaverse unser Leben massiv verändern wird. Wir können partiell von realen in digitale Welten umziehen, was völlig neue Möglichkeiten für Reisen, Bildung, Arbeit und Unterhaltung eröffnet. Dabei geht es um Nachhaltigkeit, Effizienz, Komfort und Abenteuer. Andererseits ist das Metaverse eine lose Ansammlung und Kombination von Zukunftstechnologien, deren tatsächlicher Nutzen sich im Einzelfall erst noch erweisen muss und deren Anlaufkosten immens sind. Mit anderen Worten, es fällt extrem schwer, Werte einer Anlage zu ermitteln und Utopien von künftigen Gewinnmaschinen abzugrenzen.
Procontra:
Würden Sie manche Themen, die Sie gesehen haben, vor allem als Marketing-Gag bezeichnen, als eine starke Übertreibung in Produktform?
Drescher:
Der Gag liegt im Auge des Betrachters. Was für den einen eine glaubhafte Geschichte ist, sieht ein anderer als Märchen an! Zum Beispiel das Thema „Space“. Wir haben inzwischen die ersten Fonds, die ausschließlich in die Erforschung des Weltraums und in die Satellitentechnologie investieren. Für die einen ist das bereits Gegenwart, für die anderen noch Science Fiction. Erst recht, wenn sie im Portfolio Aktien des Produzenten von Landmaschinen John Deere finden und sich fragen, was Trecker mit dem Weltall zu tun haben. Die einen referieren von satellitengesteuerter Saatoptimierung und der Fahrzeugsicherheit bis hin zum Diebstahlschutz, die anderen erkennen keinen Zusammenhang.
Drescher:
Was man viel öfter als Gags findet, sind Placebos in Form von Multi-Themenfonds. Sie verbinden zumeist so viele Themen miteinander, dass der Manager eigentlich in alles investieren kann, was er möchte, ohne seine Vorgaben zu verletzen. Die Themen erinnern dann eher an Stichwortsammlungen als dass sie eine echte Fokussierung erkennen lassen. Man fragt sich dann immer, wo eigentlich der Unterschied zu anderen breit gestreuten Aktienfonds liegt. Die könnten wahrscheinlich auch jeden ihrer Titel einem Thema zuordnen. Aber wie es bei Placebos so schön heißt: Wenn es dem Patienten hilft und er sich besser fühlt, ist alles gut.
Procontra:
Welche besonders auffälligen Produktwellen haben sie in Ihrer langjährigen Beobachtung des Fondsmarktes ausgemacht?
Drescher:
Wellenartige Produktauflagen sind in der Branche alltäglich und keineswegs auf Themenfonds beschränkt – wie übrigens auch zeitgleiche Schließungen von Fonds mangels angesammelter Masse. In den jeweiligen Produkten spiegelt sich wider, welche Asset-Klassen, Anlagestrategien und Stories sich vor welchem Börsenhintergrund gut vermarkten lassen und sich zu diesem Zeitpunkt hoher Nachfrage erfreuen. Beispielsweise die Wellen der Total-Return-Fonds, der Liquid-Alternatives, der Commodities, der Multi-Asset-Fonds, und zuletzt auch der Impact-Fonds. Ein exemplarischer Fall ist die Neuer-Markt- oder TMT-Blase Ende des vergangenen Jahrhunderts, die unter den Schlagworten Technologie, Medien, Telekommunikation und Unterhaltung zu regelrechten Produktexzessen geführt hat. Weitere Beispiele sind Healthcare-, Demografie-, Neue Energie-, Artificial Intelligence und Infrastruktur-Produktwellen. Hinzu kommen vermehrte Auflagen von Themenfonds, die eine Schnittmenge zum Nachhaltigkeitsgedanken bilden, etwa Wasser, Clean-Tech, Climate-Change oder auch Smart-Energy, Nutrition und Timber, Holz.
Procontra:
Was sollten Vermittler und Anleger tun, die nach längerfristig fruchtbaren Themen suchen? Worauf sollten sie besonders achten, um tragfähige Themen von Modetrends zu unterscheiden?
Drescher:
Sie sollten zunächst verstehen, dass thematisch spezialisierte Fonds Depotbeimischungen darstellen, die breiter streuende Basisinvestments wie Mischfonds und internationale Aktienfonds ergänzen und verstärken können. Wessen Portfolio ausschließlich aus einem disruptiven und damit hochriskanten Technologiefonds besteht, ist unzureichend diversifiziert. Ferner sollte man langlebige Themen identifizieren, die mit Innovationen verbunden sind, eine große ökonomische Bedeutung haben und profitable Geschäftsmodelle erwarten lassen. Man sollte auch nicht zu granular denken. Muss es beispielsweise ein Fonds für Wasserstoff, Batteriezellen und „Smart-Grid“, intelligentes Elektrizitätsnetz sein oder tut es nicht auch ein übergeordneter New Energy Fund? Vielleicht schaut man sich bestimmte Entwicklungen erst einmal eine Zeit lang an, recherchiert und hinterfragt das Thema, probiert es erst einmal via Sparplan aus, bevor man nennenswert investiert.
Drescher:
Viele Anleger überlassen inzwischen gerne wieder breiter streuenden Fonds die Auswahl und das Timing von Themen, Branchen und auch Asset-Klassen. Den meisten Wind unter den Flügeln dürften kurzfristig die Infrastruktur-Fonds erfahren, die sich in der aktuellen Polykrise gut gehalten haben. Themen, die Kraft für Wellen haben, stellen sicher die Bereiche Wasserstoffwirtschaft, Blockchain und Kryptowährungen dar. Allerdings erst dann, wenn die Anleger das jüngste Kursmassaker in diesen Segmenten verdaut haben.