Anfang 2021 war die Welt noch in Ordnung: Zum 1. Januar wurden wie gewöhnlich die Beitragsbemessungsgrenzen (BBG) erhöht. Gemeint ist der maximale Bruttolohnbetrag, bis zu dem in die Sozialversicherung eingezahlt werden muss. In der gesetzlichen Rentenversicherung West – maßgeblich für Einzahlungen in die Betriebsrente - ist er laut Sozialversicherungs-Rechengrößenverordnung auf 85.200 Euro für 2021 gestiegen (2020: 82.800 Euro).
Arbeitnehmer können bis zu acht Prozent der jeweils aktuellen BBG steuerfrei und vier Prozent sozialabgabenfrei in eine Direktversicherung, Pensionskasse oder einen Pensionsfonds einzahlen. 2021 stieg der steuerfreie Anteil somit um 192 Euro auf 6.816 Euro im Jahr (85.200 x 8%) und der maximale sozialabgabenfreie Anteil um 96 Euro auf 3.408 Euro (85.200 x 4%). Wer seine Entgeltumwandlung entsprechend erhöht hat, verbesserte also das Potential für seine Betriebsrente.
Weniger geförderte Entgeltumwandlung ab 2022?
Anfang 2022 könnte die SV-Regelung deutlich komplizierter werden und es einen Bumerang für die bAV geben. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat kürzlich den Referentenentwurf für die Rechengrößen in der Sozialversicherung 2022 vorgelegt. Diesen Entwürfen hatten Bundesregierung und Bundesrat in der Vergangenheit immer ohne Änderung zugestimmt. Da die Bruttolöhne 2020 in der Pandemie je Arbeitnehmer im Westen der Republik durchschnittlich um 0,34 Prozent zurückgingen, soll die allgemeine BBG für die gesetzliche Rentenversicherung in den alten Bundesländern von monatlich 7.100 auf 7.050 Euro im Monat (= 84.600 Euro) 2022 zurückgehen. Im Osten Deutschlands steigt sie hingegen leicht von 6.700 auf 6.750 Euro.
Das ist für Gutverdiener in den westlichen Bundesländern eine gute Nachricht, da sie womöglich etwas weniger Sozialabgaben zahlen müssen. Doch der West-Wert ist bundeseinheitlich auch maßgeblich für die bAV. Und deren Förderung leidet unter der BBG-Absenkung. Was sind schon 50 Euro weniger im Monat, mag sich das BMAS gedacht haben, doch die praktischen Folgen sind das pure Chaos.
Chaotische Folgen für die bAV
Darauf macht Andre Cera im Portal LEITER-bAV.de aufmerksam. „Damit sinkt der maximale Umwandlungsanspruch von 3.408 Euro auf 3.384 Euro pro Arbeitnehmer“, sagt der Aktuar und Bereichsleiter Altersversorgung, Vergütung & Controlling der Otto Group. Er hatte schon frühzeitig auf die praktischen Probleme bei der Umsetzung des AG-Zuschusses für Entgeltumwandlungen hingewiesen, auch bei procontra.
Nun droht Mehrarbeit auch durch die BBG-Absenkung, falls 2021 der Höchstbetrag für die Entgeltumwandlung ausgeschöpft wurde. Entgeltumwandlung zum bisherigen Höchstbetrag von 3.408 Euro kann der Arbeitgeber zwar grundsätzlich beibehalten, muss aber beachten, dass 2022 nur noch Umwandlungen bis zu 3.384 Euro im Jahr sozialabgabenfrei möglich sind. „Für 24 Euro fallen Sozialabgaben an, und für diesen Betrag kommt es beim späteren Rentenbezug zur Doppelverbeitragung – denn die spätere Versorgungsleistung unterliegt ebenfalls der SV-Pflicht“, sagt Cera.
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AG-Zuschuss muss schon wieder angefasst werden
Mit der verringerten SV-Ersparnis sinkt 2022 auch der gesetzlich neu eingeführte Arbeitgeberzuschuss für Entgeltumwandlungen, wobei es laut Cera unterschiedliche Fallkonstellationen gibt:
Wird der AG-Zuschuss in Abhängigkeit von der tatsächlichen SV-Ersparnis zusätzlich zu den Umwandlungsbeträgen der Arbeitnehmer gezahlt, reduziert sich der Überweisungsbetrag, die Versorgungseinrichtungen müssen informiert und bestehende Verträge angepasst werden, sofern der Zuschuss mit dem Versicherer fest vereinbart ist.
Wird der AG-Zuschuss mit der Leistung der Arbeitnehmer verrechnet (Reduktionslösung), bleibt der Überweisungsbetrag konstant und es gibt keinen weiteren Handlungsbedarf. Allerdings führt der AG-Zuschuss dann auch nicht zu mehr bAV.
Wird der AG-Zuschuss pauschal in Höhe von 15 Prozent des Umwandlungsbetrages gezahlt, fördert der Arbeitgeber die bAV künftig etwas stärker, da die SV-Ersparnis sinkt.
Bei tarifgebundenen Unternehmen kann der AG aufgrund des Tarifvorrangs die Arbeitnehmer nicht einfach besserstellen, indem er eine Entgeltumwandlung über die 4-Prozent-Grenze der BBG hinaus zulässt. „Entsprechend müssen die betroffenen Arbeitnehmer durch die HR-Verantwortlichen identifiziert, aufgeklärt und die Umwandlungsvereinbarungen auch hier reduziert werden“, kritisiert Cera.
Mehraufwand für Arbeitgeber, Versorgungsträger und Berater
„Wie der Arbeitgeber den Betroffenen die Absenkung des maximalen Eigenvorsorgebetrages vor dem Hintergrund der aktuellen Rentendiskussion verständlich machen soll, ist mir schleierhaft“, so der bAV-Experte. Zudem ziehe die Neuregelung höheren Verwaltungsaufwand bei allen Beteiligten nach sich. „Es wäre wünschenswert, wenn der Gesetzgeber eine Art Bestandsschutz vor allem für tarifgebundene Arbeitgeber einführen, also die BBG 2021 für die bAV in 2022 einfrieren, oder – noch besser – die BBG erst gar nicht absenken würde“, so Cera auf Nachfrage von procontra.
Der administrative Aufwand, einen monatlichen Umwandlungsbetrag von 284 auf 282 Euro zu reduzieren (Kommunikation Mitarbeiter, Vertragsänderung beim Versicherer, Umsetzung im Abrechnungssystem, jeweils unter Berücksichtigung eines zu zahlenden AG-Zuschusses), ist in jedem Falle unverhältnismäßig hoch und schadet dem Ansehen der bAV ganz erheblich, da die meisten Arbeitnehmer damit ihre Eigenvorsorge in der bAV reduzieren müssen.
GDV für BBG-Höchstwert-Lock-in
Diese Umstände haben offenbar auch den GDV auf den Plan gerufen. Hinter den Kulissen hat man Kontakt zum BMAS und zum BMF aufgenommen. Wie zu hören ist, plädiert die Versicherer-Lobby ebenfalls dafür, die BBG 2021 für die bAV mit Blick auf 2022 beizubehalten (Festschreibung eines „BBG-Höchstwert-Lock-in“). Es wäre sozialpolitisch das falsche Signal, die negative Entwicklung sinkender Löhne auch in der bAV aufgrund eines starren Automatismus nachzuvollziehen, gibt der GDV zu bedenken.
Für Arbeitnehmer werde es zudem nur schwer verständlich sein, dass ihre bAV - trotz individuell gleichbleibenden Gehalts - aufgrund der allgemeinen Lohnentwicklung sinken soll, argumentiert der Verband. Bisher sind noch keine Reaktionen aus den Ministerien bekannt.
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