Warum Inflation auf Direktzusagen drückt
Unternehmen, die Betriebsrenten per Direktzusage gewähren, geraten gleich von zwei Seiten unter Druck, berichtet der bAV-Berater und Großmakler Aon. Er sieht doppelte bilanzielle Herausforderungen bei der bAV: Zum einen müssen langfristige Trendannahmen zur Gehalts- und Rentenentwicklung inflationsbedingt erhöht werden:
„Durch die hohe Inflation der letzten Monate werden die durch den Verbraucherpreisindex (VPI) bedingten Rentenanpassungen der nächsten Jahre deutlich über den langfristigen Trendannahmen liegen“, sagt Aon Principal Jan-Carl Stegert. Gleiches gelte für tarifgebundene Gehaltsanpassungen. Diese Effekte seien in den Rückstellungen zum Jahresabschluss 2022 bereits zu berücksichtigen.
Zum anderen sei der für die Berechnung der Rückstellungen maßgebliche HGB-Rechnungszins immer noch hoch, obwohl sich die Zinsentwicklung längst gedreht hat, merkt Aon an. Anhand des Rechnungszinses wird ermittelt, welche Rendite Geldanlagen bringen, die für Betriebsrenten zur Seite gelegt werden. Je niedriger er ist, umso höher werden deshalb die notwendigen Rückstellungen. Um bis zu 15 Prozent wird der Aufwand nach Einschätzung von Stegert steigen – siehe Grafik.
Wie Betriebsrenten anzupassen sind
„Der überwiegende Teil der laufenden Betriebsrenten ist gegen Inflation geschützt, doch für Anwärter gibt es diesen Schutz häufig nicht und die Ansprüche werden durch die Inflation mehr oder weniger stark entwertet“, sagt IVS-Vorstandschef Friedemann Lucius. Hintergrund: Arbeitgeber sind gesetzlich verpflichtet, spätestens alle drei Jahre die Höhe der laufenden Betriebsrenten zu prüfen und nach billigem Ermessen anzuheben.
Werden Renten an den Verbraucherpreisindex für Deutschland (VPI) oder die Nettolohnentwicklung vergleichbarer Arbeitnehmergruppen angepasst, entfällt die Prüfungspflicht. Für Zusagen, die nach 1998 erteilt wurden, kann die Anpassung ebenfalls unterbleiben, wenn die laufenden Renten jedes Jahr um 1,0 Prozent angehoben werden. „In der Praxis unterliegen geschätzt 70 Prozent der laufenden Betriebsrenten der VPI-Anpassungsregelung und sind insofern inflationsgeschützt“, so Lucius, im Hauptberuf Vorstandssprecher der Heubeck AG.
Wenn die Zinsen steigen, sinkt der Barwert
Das erste Halbjahr 2022 brachte in vielen Anlageklassen häufig zweistellige Verluste. Dennoch dürfte sich dadurch die Ausfinanzierung deutscher Betriebspensionen der großen börsennotierten Konzerne in diesem Jahr verbessern, so eine These des „3. Pension Monitors“ der Frankfurt School of Finance & Management in Kooperation mit dem Asset Manager Insight Investment vom Spätsommer 2022.
Hintergrund: Um den Barwert der Pensionsverpflichtungen, also den heutigen Wert aller in Zukunft zu leistender Zahlungen eines Unternehmens, zu ermitteln, werden alle Zahlungen mit einem Zinssatz diskontiert. „Wenn der Zinssatz steigt, sinkt im Gegenzug der Barwert dieser Verpflichtungen“, erklärt Frank Diesterhöft, Head of Fixed Income Sales Germany von Insight Investment. So wie über viele Jahre sinkende Zinsen zu höheren Pensionsverpflichtungen geführt hatten, haben die zuletzt steigenden Zinsen den gegenteiligen Effekt.
Wie Pensionsrisiken auf Aktienkurse wirken
Der Insight Pension Monitor untersucht aus der Kapitalmarktperspektive, wie sich beispielsweise der Aktienkurs oder die Refinanzierungskosten von den einzelnen DAX- und M-DAX-Unternehmen in Abhängigkeit der Pensionsrisiken dieser Unternehmen entwickelt haben. Diese Perspektive ist auch für Empfehlungen von Maklern für Versicherungsanlageprodukte ihrer Kunden interessant.
Überraschendes Ergebnis: Unternehmen mit niedrigem Pensionsrisiko für Direktzusagen warfen seit 2012 eine um 5,2 Prozent pro Jahr höhere Aktienrendite ab als Unternehmen mit hohem Pensionsrisiko.
Was Mittelstand von Pensionsmanagement großer Konzerne lernen kann
Firmen können durch Steuerung des Pensionsrisikos wichtige Kapitalmarktkennzahlen positiv beeinflussen, besagt die Studie, die tiefer geht als andere Analysen, die sich nur mit dem Ausfinanzierungsgrad der Pensionsverpflichtungen beschäftigen. Der Insight Pension Monitor kam zu drei maßgeblichen Ergebnissen:
1. Aktionäre, die einem höheren Pensionsrisiko ausgesetzt sind, werden dafür nicht mit höheren Renditen belohnt.
2. Unternehmen mit höherem Pensionsrisiko haben höhere Refinanzierungskosten.
3. Bei sinkenden/niedrigen realen Zinsen wird Vermögen von Gläubigern zu Eigenkapitalgebern (künftige Betriebsrentner) „verschoben“.
Letzteres hat erstaunliche Wirkungen. In der Mehrzahl der Realzinsszenarien im Untersuchungszeitraum von 2012 bis 2021 haben Unternehmen mit niedrigem Pensionsrisiko viel besser abgeschnitten als solche mit hohem Pensionsrisiko. Wegen der langen Durationen von Pensionsverpflichtungen sind die Zinsen in der Regel der größte singuläre Pensionsrisikofaktor, konstatiert die Studie. Die zuletzt steigenden Zinsen haben den Rechnungszins, mit dem sich die Barwerte der Pensionsverpflichtungen errechnen lassen, wieder auf einen Wert von mehr als 3,0 Prozent steigen lassen.
Wie steigende Zinsen bereits kurzfristig auf Direktzusagen wirken
„Die Rechnungszinsen sind auf Zehnjahreszeitraum nie so dynamisch angestiegen wie in den vergangenen sechs Monaten“, sagte Wolfgang Murmann von Insight Investment. Dies seien sehr gute Nachrichten, denn der Barwert der Pensionsverpflichtungen sinkt und entlastet die Unternehmensbilanzen. „Je nach Duration sind die Verpflichtungen um 20 bis 40 Prozent gesunken“, so Murmann weiter. Die starke Verpflichtungsperformance dürfte die schwache Assetperformance kompensieren.
Für künftige Betriebsrentner ist dies nicht unbedingt eine positive Nachricht. Denn neben der anziehenden Inflation, die bei Fortschreibung über 40 Jahre eine Betriebsrente fast auf ein Drittel der Kaufkraft abschmelzen würde, sind die gängigen Beitragsgarantien ein Risiko. Die im Mittelstand verbreitete Beitragszusage mit Mindestleistung (BZML) ist gegenüber aktuellen Kapitalmarktrisiken empfindlicher als die in Konzernen verbreitete Direktzusage der Arbeitgeber.