Bürgerrente statt Riester-Reform: Die Zukunft der privaten Altersvorsorge?
Verständlicher, nachhaltiger und renditestärker soll sie sein und vor allem Geringverdienern zugute kommen: Ende Januar präsentierte die Versicherungswirtschaft mit ihrem Konzept einer „Bürgerrente" eine mögliche Alternative zum maroden und unrentablen Riester-System. Statt eines vorgeschriebenen 100-prozentigen Kapitalerhalts ist unter anderem eine Kapital-Garantie von 80 Prozent vorgesehen, zudem soll das Produkt auch über beratungslose, digitale Vertriebswege an den Mann oder die Frau gebracht werden. Wird die geförderte private Altersvorsorge mit einer „Bürgerrente" tatsächlich auf ein sicheres Fundament gestellt?
Jörg Asmussen (GDV-Hauptgeschäftsführer): Pro
Es ist gut, dass der Dialog zur privaten Altersvorsorge in der Fokusgruppe Altersvorsorge der Bundesregierung nun gestartet ist. Die geförderte private Altersvorsorge ist reformfähig und hat eine Reform verdient – zügig und mit Blick für die echten Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger.
Die deutschen Lebensversicherer wollen mit ihrem Konzept einer Bürgerrente die geförderte private Altersvorsorge neu beleben. Die Bürgerrente soll einfacher, verständlicher, nachhaltiger und renditestärker sein:
Sie soll höhere Erträge abwerfen, als sie heute mit Riester möglich sind. Dafür ist es aus Sicht der Versicherer nötig, den derzeit vorgeschriebenen 100-prozentigen Kapitalerhalt zu Rentenbeginn aufzuweichen – ohne jedoch völlig auf eine Absicherung zu verzichten. Die Verrentung des angesparten Vermögens bleibt Kernelement der geförderten privaten Altersvorsorge.
Regelmäßige Anpassung der Zulagen
Die Förderung soll mit der Bürgerrente einfacher und verständlicher werden. Die Idee: Zu jedem eingezahlten Euro legt der Staat 50 Cent obendrauf. Zahlt eine Kundin beispielsweise 1.000 Euro pro Jahr in den Vertrag ein, gibt es 500 Euro als Förderung dazu. So einfach. Ebenfalls sollte es zukünftig über die Kopplung an die Beitragsbemessungsgrenze eine regelmäßige Anpassung der Zulagen geben.
Mit der Bürgerrente sollte der Kreis der Förderberechtigten nach Ansicht der Versicherer auch um die Gruppe der Selbstständigen erweitert werden, die nicht rentenversicherungspflichtig sind.
Ein Standardprodukt, weniger Dokumentationsaufwand, schlankere Prozesse zwischen Anbietern und staatlichen Förderstellen, und auch digitale Vertriebsmöglichkeiten: All das senkt die Kosten. Mit der Bürgerrente ließe sich die private Altersvorsorge deutlich günstiger gestalten – ohne auf den Service einer persönlichen Beratung zu verzichten. Die Vermittler sorgen für ein größeres Verständnis des Produkts und mithin für dessen hohe Verbreitung.
Ein breites Beraternetzwerk vor Ort ist für die große Verbreitung individueller Vorsorgelösungen zentral. Von den Dörfern bis zu den Städten begleiten Beraterinnen und Berater die Menschen über die wechselnden Lebensumstände hinweg, oft über viele Jahre, teilweise sogar generationenübergreifend ein Leben lang. Sie analysieren die persönliche Situation mit Blick auf Einkommensentwicklung, familiäre Situation und Lebensziele, sie helfen rechtzeitig Absicherungs- und Versorgungslücken zu erkennen und übernehmen die Lotsenfunktion mit Blick auf die unterschiedlichen Vorsorgelösungen.
Wichtig: Bei der Bürgerrente handelt es sich nicht um einen fertigen Produktvorschlag. Sie ist vielmehr ein Konzept, wie die staatlich geförderte Altersvorsorge ausgestaltet sein sollte.
Den Rahmen dafür muss die Politik bestimmen. Das heutige System ist rund 20 Jahre alt, ohne grundlegende Änderung bisher. Eine zeitgemäße Weiterentwicklung ist schon lange überfällig.
Michael H. Heinz (BVK-Präsident): Contra
Mit Skepsis begegnet der Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute (BVK) den Plänen, ein neues Altersvorsorgeprodukt unter dem Namen „Bürgerrente“ einzuführen. Denn seit über zwei Jahrzehnten sorgen rund 16 Millionen Vorsorgesparer fürs Alter mit Riester-Renten vor. Jetzt ein komplett neues System einzuführen, würde diese Menschen vor dem Kopf stoßen und das Signal aussenden, dass das private Altersvorsorge-System versagt hat. Das ist nicht vertrauensbildend und könnte dazu führen, dass sich Kunden vollends von der notwendigen privaten Vorsorge verabschieden.
Bedenklich ist auch, dass die „Bürgerrente“ als ein Standardprodukt von der Stange konzipiert ist. Dieses kann aber den vielen individuellen Lebenslagen von Menschen nicht entsprechen, was zur Folge hätte, dass viele mit einem Vertrag vorsorgen würden, der ihren individuellen Wünschen und ihrer Lebenslage gar nicht entspricht. Auch das hätte gravierende Folgen für die Akzeptanz und das Vertrauen.
Digitale Vertriebswege lassen das Fass überlaufen
Da nutzt auch der Vorschlag nichts, dass jede privat eingezahlte Euro in die Bürgerrente mit weiteren 50 Prozent vom Staat bezuschusst werden soll. Doch so spendabel soll die „Bürgerrente“ auch wiederum nicht sein. Denn die förderfähigen Beiträge werden bis zu vier Prozent der Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung begrenzt.
Dass schließlich sogar auch beratungslose digitale Vertriebswege möglich sein sollen, ist der Tropfen, der das Fass dieses ganzen fragwürdigen Vorhabens überlaufen lässt auf. Einem Verbraucherschutzgedanken, wonach kein Vertrieb ohne Beratung stattfinden dürfe, entspricht das in keiner Weise.
Statt eines völlig neuen und ungewissen Konstrukts möchten wir die Chancen der Riester-Rente ausbauen und umfassend nutzen, um sie einfacher und renditestärker zu machen. Man könnte ihr umständliches Zulagenverfahren entbürokratisieren und die Förderzulagen inflationsbereinigt dynamisieren. Auch die 100-prozentige Beitragsgarantie könnte abgesenkt werden und somit den Anbietern ermöglichen, bessere Ertragsoptionen an den Kapitalmärkten zu nutzen.
Die Deckelung der steuerlichen Höchstfördergrenze von Altersvorsorgebeiträgen könnte außerdem angehoben werden. Schließlich wäre für eine Reform der Riester-Rente die Öffnung für weitere Bevölkerungsgruppen wie z. B. Selbstständige eine sinnvolle Option. Und für Geringverdiener mit geringen gesetzlichen Rentenanwartschaften wäre die Anhebung des Schonvermögens bei privaten Renten sicherlich auch sehr interessant bzw. würde sie motivieren, ihr knappes Geld fürs Alter beiseitezulegen.
All diese Vorschläge ließen sich hier und heute für die bestehenden und künftigen Riester-Sparer anwenden. Hier gilt es ein Potenzial von weiteren 16 Millionen Vorsorgesparerinnen und -sparern zu heben. Dafür unterbreitete der BVK der „Fokusgruppe private Altersvorsorge“ des Bundesministeriums der Finanzen konstruktive Vorschläge. Die Politik müsste nun nur den Mut haben, die totgesagte Riester-Rente zu reformieren.
Ist die Bürgerrente die Zukunft der privaten Altersvorsorge?
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