Interview mit Investmentexpertin Anne Connelly

„Ich habe aus Angst vor Verlusten zu früh verkauft“

Anne Connelly, Gründerin des Frauenfinanzportals herMoney, war eine der ersten Frauen in der Investmentfondsbranche. Ein Gespräch über ihre bisherigen Erfahrungen auf dem Börsenparkett, warum es eine Finanzberatung speziell für Frauen braucht und zu welcher Anlagestrategie sie aktuell rät.

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09:12 Uhr | 09. Dezember | 2022
Anne Connelly

Anne Connelly, Gründerin und Geschäftsführerin des Frauenfinanzportals herMoney, über ihren Weg in die Finanzbranche, Investmentfehler und die Bedürfnisse von Frauen in der Finanzberatung. | Quelle: Mohr

procontra: Im Gegensatz zu vielen anderen Frauen haben Sie bereits vor 30 Jahren den Gang aufs Börsenparkett gewagt: Was hat sie dazu bewogen?

Anne Connelly: Vielleicht liegt es daran, dass mein Großvater Banker bei der Sparkasse war und meine Mutter bei einem Versicherer gearbeitet hat. Ich hatte anfangs wenig Ahnung von Fonds und Aktien. Als ich in den USA ein Traineeprogramm absolviert habe, war ich fasziniert von dem Thema. Ich habe dann bei der alteingesessenen Fondsgesellschaft Pioneer Investments, heute Amundi, gearbeitet. In den USA wurde bereits vor Jahren eine Aktienrente eingeführt, das heißt, ich habe früh gelernt, dass man seine Altersvorsorge aufpeppen sollte.

procontra: Über welchen Anlegerfehler haben sie sich in den vergangenen drei Jahrzehnten am meisten geärgert?

Connelly: Vornweg ist es wichtig zu verstehen, dass damals bei Weitem nicht so viele Informationen über Finanzthemen zugänglich waren wie heute. Deswegen habe ich so investiert, wie ich es bei meinem damaligen Arbeitgeber gelernt habe. Ich habe also Aktienfonds gekauft und gar nicht so richtig hingesehen, worum es sich konkret gehandelt hat. Und dann habe ich den klassischen Fehler gemacht und aus Angst vor Verlusten zu früh verkauft. Und dass, obwohl ich in der Branche gearbeitet habe. Heute gibt es eine Community, mit der man sich vernetzen kann, die einen bestärkt, um einen solchen Fehler nicht zu machen. Viele haben zwar die Theorie richtig verstanden: Wenn die Kurse runtergehen, sollte man dabeibleiben und nachkaufen. Dabei werden aber die Emotionen vergessen. Es macht ja etwas mit einem, wenn von 10.000 investierten Euro plötzlich nur noch 8.000 übrig sind. Das ist zwar erst einmal nur ein Buchverlust, kann aber dennoch zu Panik führen.

„Informiert euch über alles!“

procontra: Und Sie haben sich nie über die Wahl eines Investments geärgert?

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Connelly: Doch. Den zweiten großen Fehler, den ich gemacht habe, war der Kauf von Anteilen an einem Golfclub. Diese Investments wurden damals in den Neunzigerjahren gehyped. Das war ein geschlossener Fonds, eine unternehmerische Beteiligung. Die musste ich am Ende komplett abschreiben. Aber da habe ich einfach nicht das Kleingedruckte gelesen und die Umstände nicht genau gekannt. Und deswegen rate ich allen: Informiert euch über alles, lest das Impressum, auch die Rechtsform ist entscheidend.

procontra: Sie haben nun gemeinsam mit Kolleginnen das Buch „Dein Money 1x1. Der Finanzguide für Frauen“ veröffentlicht. Der Titel klingt erst einmal wie viele andere Publikationen zum Thema „Frauen und Finanzen“. Warum braucht es noch einen Ratgeber?

Connelly: Gegenfrage: Wie viele Finanzbücher gibt es weltweit, die implizit für Männer geschrieben sind? Nur weil endlich mal Bewegung ins Spiel kommt und Finanzratgeber für Frauen geschrieben werden, ist der Markt noch lange nicht gesättigt. Es geht in dem Buch ja nicht nur ums Investieren, sondern auch um die Altersvorsorge, um Absicherungsthemen. Wir wollten eine Art Nachschlagewerk schreiben, in dem Frauen immer die Themen nachlesen können, die sie gerade – in ihrer jeweiligen Lebenssituation – betreffen.

procontra: Trotz vieler Bemühungen durch Ratgeber wie Ihren investieren nach wie vor weniger Frauen als Männer: Von 12 Millionen Aktienbesitzern ist nur ein Drittel weiblich. Woran liegt es, dass Bemühungen wie von Ihnen noch nicht so richtig fruchten?

Connelly: Es hat sich ja schon viel verändert und das ist nicht nur ein kurzzeitiger Trend, sondern eine anhaltende Entwicklung. Durch die sozialen Medien werden finanzielle Themen weiter verfestigt. Es gibt mittlerweile sogar Ikonen in dieser Bewegung wie Helma Sick, die sich seit Jahrzehnten mit dem Thema beschäftigt. Aber es stimmt: Es gibt leider immer noch genügend Frauen, die das Problem nicht sehen. Dann werden diese Frauen Mitte 30 und wachen langsam auf und dann ist es für manche Themen wie bestimmte Versicherungen manchmal schon zu spät.

„Vielen männlichen Beratern ist die Beratung von Frauen zu aufwendig.“

procontra: Warum brauchen Frauen eine andere Beratung?

Connelly: Es braucht eine Weitergabe der Informationen, die Frauen anspricht. Das Problem ist nicht, dass es an Informationen über Finanzthemen mangeln würde. Doch zu 80 Prozent sind es Männer, die diese Informationen konsumieren. Aber unsere Community wächst, das Bewusstsein für die Themen nimmt zu. Die Angebote sind niedrigschwelliger geworden, zum Beispiel durch Instagram.

procontra: Warum setzen Sie ausschließlich auf Beraterinnen?

Connelly: herMoney bietet ein Coaching an für Frauen, Finanzberatung selbst bieten wir nicht an. Aber wir haben einen Service, über den sich Beraterinnen listen lassen können. Und das sind ausschließlich Frauen. Frauen haben ein anderes Kommunikationsverhalten als Männer. Sie verstehen intuitiver, was andere Frauen möchten. Kundinnen wollen ungeniert Fragen stellen können und sich aufgehoben fühlen. Natürlich kann man das nicht über einen Kamm scheren, ich bin ja durch meinen Lebensweg auch nicht die typische deutsche Frau. Dennoch würde ich sagen, dass Männer oft lösungsorientiert sind, Frauen hingegen erst einmal über das Problem reden wollen.

procontra: Gilt das auch für die Finanzberatung?

Connelly: Ja, viele Frauen möchten erst einmal über ihre Lebenssituation sprechen, bevor sie ein Produkt präsentiert bekommen. Aber die traditionelle Beratung sah so aus, dass Kunden sofort ein Produkt angeboten bekamen. Das ist für Frauen nicht der Beginn einer Auseinandersetzung. Vielen männlichen Beratern ist die Beratung von Frauen zu aufwendig, sie dauert länger und das stört viele. Beraterinnen, mit denen wir eng zusammenarbeiten, haben uns gesagt, dass sie am Anfang ein Zeitlimit ansetzen, damit die Beratung nicht ausufert.

procontra: An welchem Punkt in ihrem Leben beginnen Frauen sich doch mit Finanzthemen auseinanderzusetzen?

Connelly: Leider war und ist es auch heute noch oft so, dass Frauen erst in große Not geraten müssen, bis sie sich endlich mit Geldthemen beschäftigen. Eine plötzliche Scheidung, Mittellosigkeit, dann eine Gesetzgebung, die Frauen nach einer Scheidung schlechter stellt. Viele gehen nach wie vor keiner Erwerbsarbeit nach, mir der sie sich selbst ernähren können. Sie haben nicht auf dem Schirm, dass es den nachehelichen Unterhalt nicht mehr gibt. Zu uns kommen auch Frauen, die um die 50 Jahre alt sind und die uns fragen, wie sie ihre Finanzen jetzt noch auf die Reihe bekommen können.

procontra: Also ist es eine Frage des Alters, ob sich Frauen mit ihren Finanzen beschäftigen?

Connelly: Das Bewusstsein für Finanzthemen ist bei den jüngeren Frauen ausgeprägter. Aber ich beobachte auch, dass wieder verquere tradierte Einstellungen auftauchen, durch die Frauen sich der Komplexität des Alltags versuchen zu entziehen. Sie sagen plötzlich: „Der Mann macht das schon.“ Dann bleiben ausgebildete Anwältinnen wieder zuhause bei den Kindern. Ich verstehe das nicht. Ich habe immer gearbeitet, immer in Vollzeit, auch mit beiden Kindern. Frauen können ja zuhause bleiben, aber dann müssen sie die finanziellen Konsequenzen kennen. Blindlings in eine Situation zu gehen und zu glauben, der Partner wird einen schon durchbringen, ist naiv. Das weiß ich aus eigener Lebenserfahrung.

„Man sollte Nachhaltigkeit im Portfolio haben.“

procontra: Wie unterscheiden sich Ihre Ratschläge für Frauen in Sachen Geldanlage gegenüber denen, die Sie Männern geben würden?

Connelly: Da mache ich keinen Unterschied, wir brauchen auch keine unterschiedlichen Produkte. Es geht wirklich nur um die Art und Weise, wie man Frauen mit dem Thema konfrontiert. Männer sind wettbewerbsgetriebener, gehen gerne Mal ins Risiko. Die nehmen es sportlicher, wenn es mal nicht so läuft. Das ist bei Frauen anders. Frauen haben, weil sie häufig schlechter verdienen und weniger auf die Seite legen können, mehr zu verlieren und sind deswegen auch vorsichtiger.

procontra: Angeblich wollen Frauen vorwiegend nachhaltig investieren. Stimmt das? Und raten Sie den Frauen zu ESG-Anlagen?

Connelly: Das ESG-Thema ist gerade für jüngere Frauen wichtiger als für Männer. Allerdings haben in diesem Jahr die „bösen“ Investments outperformt, Investments in Energie, beispielsweise Öl, sind extrem gut gelaufen. Die nachhaltigen Anlagen haben eher verloren. Dennoch ist ESG ein Gesellschafts- und ein Investmenttrend. Unternehmen haben keine Existenzberechtigung mehr, wenn sie nicht nachhaltig arbeiten. Das ist auf jeden Fall der Weg der Zukunft. Mit der Investmentbrille – und so handhabe ich das auch persönlich – würde ich sagen: Man sollte diversifizieren und auch Nachhaltigkeit im Portfolio haben, aber eben nicht nur.

procontra: Die derzeitige Lage am Aktienmarkt ist wenig erfreulich, der Blick aufs Börsenportfolio ist getrübt. Was raten Sie derzeit Frauen hinsichtlich der Geldanlage?

Connelly: Wir raten generell zu langfristigen Anlagen. Wer einsteigen will, dem sage ich: Der richtige Zeitpunkt ist immer jetzt – ungeachtet der Situation am Markt. Wer jetzt neu investieren will und einen Anlagehorizont von zehn bis 14 Jahren hat, sollte sich erst einmal weltweite Aktienfonds ansehen wie den MSCI World und das Portfolio vielleicht mit einem Emerging-Markets- ETF mischen. Nach und nach bietet es sich dann an, Themen, die man interessant findet, ins Depot zu nehmen. Aber die muss man sich genau ansehen, denn Themeninvestments können auch mal nicht mehr en vogue sein. Wenn das passiert, muss man sich sagen: Ok, dumm gelaufen. Und dann hoffen, dass es wieder bergauf geht. Aktuell hat man die Gelegenheit günstig nachzukaufen. Man sollte weiterhin einmal im Jahr überprüfen, ob das Depot noch zu den Lebensverhältnissen passt. Das wäre mein Tipp, den ich selbst auch befolge.

procontra: Verändern Krisen wie Corona, Ukrainekrieg und Inflation die Prioritäten bei der Geldanlage? Wollen Anleger jetzt mehr Sicherheit und mehr Flexibilität, um schnell wieder an ihr Geld zu kommen?

Connelly: Das sehe ich weniger. Natürlich sind jetzt alle durch das Thema Inflation aufgeschreckt. Dazu gibt es derzeit viele Fragen. Das Bewusstsein dafür ist geschärft und die Menschen suchen gezielt nach Alternativen, wie sie ihr Geld anlegen können. Diese Auseinandersetzung hat bis vor zwei Jahren überhaupt nicht stattgefunden. Die Krisen befeuern auch den Bedarf nach Coaching und Information, die Nachfrage ist groß.

„Ich bin kein Feind der aktiv gemanagten Fonds.“

procontra: Heute scheint die Angst, beim Anlegen etwas falsch zu machen, gefühlt besonders groß zu sein. Muss beim Thema Geldanlage eine andere Fehlerkultur Einzug halten?

Connelly: Die hat doch schon längst eingesetzt: Besonders während der Pandemie haben gerade viele jüngere Menschen in Kryptoassets investiert. Wenn jemand – bevor er überhaupt jemals in einen Fonds investiert hat – als erstes sein Geld in Kryptowährungen steckt, dann reden wir von einer riesigen Fehlerkultur. Da mischt sich Unwissenheit mit einem Hype, der durch Social Media befeuert wurde. Und eher jüngere Menschen dachten sich: „Das ist der nächste Hot Shit, wir machen es besser als die erfahrenen Anleger.“ Ihnen muss ich sagen: Setzen, sechs. Das war leichtsinnig.

procontra: Manche Finanzexperten wie Gerd Kommer raten generell von aktiv gemangten Fonds ab und empfehlen Anlegern in erster Linie auf ETF zu setzen. Wie sehen Sie das?

Connelly: Kommer ist ein professioneller Investmentbanker, der mit seinem Profiwissen ganz anders agieren kann als ein durchschnittlicher Privatanleger. Seinen Ratschlägen kann man folgen, wenn man sich intensiv mit der Materie auseinandersetzt. ETFs sind generell eine gute Erfindung. Ich bin kein Feind der aktiv gemanagten Fonds. Ich investiere in beides, weil ich finde, dass es auch gut gemanagte aktive Fonds gibt, mit denen ich selbst gut verdient habe.

procontra: Welche sind das?

Connelly: Ich habe zum Beispiel einen japanischen und einen europäischen Aktienfonds und investiere im Health-Bereich. Aber dafür braucht man eine gewisse Expertise, man sollte nicht blind eine Benchmark kaufen. Das Kostenargument ist bei den ETF natürlich unschlagbar. Kosten fressen Rendite, das ist nicht von der Hand zu weisen. Ich besitze auch viele ETF. Anfänger sollten mit einem ETF-Sparplan beginnen und schauen, wie sie damit zurechtkommen. Ich bin beim Finanzcoaching immer wieder verblüfft, welche grundlegenden Fragen gestellt werden. Übrigens sind oft auch sehr gut verdienende Frauen oder solche, die durch eine Erbschaft an Geld gekommen sind, überfordert.