Die richtige Ansprache ist entscheidend
Nina ist 42 Jahre alt, arbeitet in der strategischen Kommunikationsberatung und verdient damit gutes Geld. Ihr Mann ist sieben Jahre jünger als sie und erhält als Sozialarbeiter deutlich weniger Lohn als seine Frau. Damit entspricht das Paar allerdings nicht der nach wie vor gängigen Rollenverteilung: Im vergangenen Jahr verdienten Frauen nach Angaben des Statistischen Bundesamts im Durchschnitt 18 Prozent weniger als Männer. Die Lohnkluft ist hierzulande so groß wie fast nirgends in Europa, warnt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung. Deutschland belegt demnach den drittletzten Platz von insgesamt 34 untersuchten Ländern.
Damit sind Frauen besonders von Altersarmut bedroht, denn auf den Gender-Pay-Gap folgt die geschlechtsspezifische Rentenlücke, der sogenannte Gender-Pension-Gap. Um 46 Prozent niedriger fiel das Alterssicherungseinkommen der über 65-jährigen Frauen im Jahr 2019 gegenüber dem der Männer aus. „Die durchschnittliche Rente einer Frau liegt im Westen bei 694 Euro, die von Männern bei 1.167 Euro“, sagt Finanzberaterin Helma Sick, die vor über drei Jahrzehnten „frau & geld“ gegründet hat, eine Finanzberatung explizit für Frauen.
Um einer Altersarmut vorzubeugen, ist es unerlässlich, nicht allein auf die gesetzliche Rente zu setzen, sondern das Geld im Sinne einer privaten Altersvorsorge zu investieren, zum Beispiel in Aktien, Aktienfonds und ETFs. Doch auch hier zeigt sich ein betrübliches Bild: Während im vergangenen Jahr immerhin 7,8 Millionen Männer ihr Geld auf diese Weise angelegt haben, taten das nur 4,3 Millionen Frauen, wie eine aktuelle Auswertung des Deutschen Aktieninstituts zeigt.
Frauen für den Kapitalmarkt gewinnen
Kein Wunder: Denn wer weniger Geld zur Verfügung hat, will es auch nur ungern aus der Hand geben. „Männer fangen früher an zu sparen als Frauen, meist mit Anfang 20. Frauen hingegen erst mit Anfang oder Mitte 30“, erklärt Sick. Die meisten wagen den Schritt aufs Börsenparkett auch erst dann, wenn schon ein gewisser Notgroschen auf der hohen Kante liegt. Das Problem dabei laut Sick: Wenn Frauen dann endlich investieren, seien sie oft zu zaghaft und legten zu geringe Beträge an. Die Versorgungslücke könne so nicht mehr geschlossen werden. Aber wie können sie überhaupt für den Kapitalmarkt gewonnen werden?
Die Wirtschaft hat das Thema rund um Frauen-Finanzen längst für sich erkannt, eine ganze Industrie bemüht sich um die Aufmerksamkeit der weiblichen Zielgruppe. Magazine wie der Emotion-Ableger „finanzielle“ oder „courage“, Bloggerinnen wie „Geldmarie“ und Beraterinnen wie „Madame Moneypenny“ wollen Frauen auf dem Weg in die finanzielle Unabhängigkeit begleiten. Auch die speziell auf Frauen zugeschnittene Finanzberatung boomt: „Sie schießen aus dem Boden, offenbar hat man verstanden, dass Frauen die Hälfte der Bevölkerung ausmachen und sich mit ihnen Geschäfte machen lassen“, resümiert Expertin Sick.
Und selbst auf Produktebene kommt Bewegung ins Spiel: Der Vermögensverwalter DWS will den Versorgungsgrad von Frauen nun mit einem speziellen Fonds verbessern. Der aktiv, ausschließlich von Frauen gemanagte Fonds „DWS Invest ESG Women for Women“ (ISIN: LU2420982006) wurde dafür Anfang des Jahres aufgelegt.
Brauchen Frauen ein spezielles Finanzprodukt?
Die Auswahl des Fonds fokussiere, wie es der Name schon verrät, auf nachhaltige Investments: „Denn Frauen treffen ihre Wahl nicht nur auf Grundlage von Zahlen, sondern bevorzugen eine für die Gesellschaft sinnstiftende Anlage“, heißt es auf der DWS-Website. Diversität, Gleichberechtigung, nachhaltige Geschäftspraktiken und ein positiver sozialer Einfluss spielen demnach bei der Titelauswahl eine zentrale Rolle, erklärt der Vermögensverwalter. Der dahinterstehende Gedanke: „Für Anlegerinnen zählt nicht nur die Rendite. Die Herzkomponente macht den Unterschied bei der Kapitalanlage“, meint das Unternehmen.
Doch sollten Frauen nicht gerade besonderen Wert auf die Rendite legen, um einer drohenden Altersarmut die Stirn zu bieten? „Frauen ist beides gleich wichtig. Natürlich wollen sie auch Rendite, und sie brauchen im Zweifel sogar mehr Rendite als Männer, um ihre Rentenlücke zu schließen. Wenn Frauen investieren, wollen sie aber genau wissen, welchen Zweck ihr Investment verfolgt“, sagt DWS-Produktspezialistin Denise Kißner.
Allerdings wird stets betont, wie rational Anleger und Anlegerinnen agieren sollten, um sich eben nicht von der Gefühlsebene fehlleiten zu lassen. Wie passt da der Hinweis auf die „Herzkomponente“? „Für Frauen spielt bei Investitionsentscheidungen oftmals auch der soziale Aspekt eine größere Rolle. Ihnen ist es neben der Rendite besonders wichtig, mit ihrer Anlage auch etwas Positives zu bewirken, wie Studien belegen“, so Kißner. Aus diesem Grund setze der Fonds den Fokus auf soziale Aspekte. Bewertet werden unter anderem Faktoren wie Arbeitsbedingungen, Gleichberechtigung und Chancengleichheit sowie eine ausgewogene Geschlechterverteilung auf Führungsebene.
Nur, legen Frauen ihr Augenmerk tatsächlich in erster Linie auf soziale, nachhaltige Aspekte in der Geldanlage? „Es gibt keine empirisch gesicherten Befunde dafür, dass es in der Aktienauswahl große Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt, also dass Frauen zum Beispiel nachhaltiger anlegen würden“, wendet Alexandra Niessen-Ruenzi, Professorin für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Corporate Governance der Universität Mannheim, ein. Ihr zufolge sei ein spezielles Anlageprodukt für Frauen nicht zielführend, denn: „Die Gesetze am Kapitalmarkt gelten für Investorinnen und Investoren gleichermaßen.“
Die richtige Ansprache ist entscheidend
Wenn Frauen also nicht über spezielle Finanzprodukte für das Thema Geldanlage gewonnen werden sollen, wie dann? Studien zufolge ist es sinnvoll, wenn Finanzberater und -beraterinnen das gleiche Geschlecht haben wie die jeweilige Kundschaft. „Männliche Finanzberater und weibliche Klientel matchen nicht so gut, und zu 80 Prozent sind es eben Finanzberater“, sagt Niessen-Ruenzi.
Diese These spricht damit durchaus für den Ansatz der DWS. Der Fonds wird nämlich ausschließlich von Frauen gemanagt, wodurch auf Investorinnen-Seite womöglich das nötige Vertrauen entstehen könnte, um den Schritt in Richtung Geldanlage zu wagen. „70 Prozent der Personen, die in der Reklame für Finanzprodukte auftauchen, sind Männer“, moniert Wissenschaftlerin Niessen-Ruenzi. Die implizite Botschaft dahinter: Die Welt der Finanzen ist eine Männerdomäne, mit dem Thema brauchen sich Frauen nicht zu beschäftigen. Deswegen müsse man ihnen über eine gezielte Ansprache signalisieren, dass es sich eben sehr wohl um ein wichtiges Thema für sie handelt. „Aber da geht es rein um die Kommunikation und nicht um die Produktebene“, so die Expertin.
Negativeffekt durch ‚typisch weibliche Ansprache‘
Die Fondshäuser bemühen sich auf dieser Ebene unterschiedlich stark um die Aufmerksamkeit der Zielgruppe, allein die Frage bleibt: Welche Ansprache wäre geeignet? Der Vermögensverwalter DWS wirbt um Anlegerinnen mit Aussagen wie „Investieren mit Herz und Verstand“, verspricht eine „weibliche Perspektive“ und erklärt: Frauen „besitzen mehr Empathie. Das Herz spielt also eine größere Rolle.“ Frauen über die Gefühlsebene „einfangen“ zu wollen, führe bei Niessen-Ruenzi allerdings eher zu einer Abwehrhaltung: „Ich bin kein Freund der ‚typisch weiblichen Ansprache‘, weil dadurch die Geschlechterrollen zementiert werden.“ Allein der Verstand zähle auf dem Kapitalmarkt.
Die DWS nutze „kundengruppenspezifische Ansprache“, erklärt Produktspezialistin Kißner. „Das, was wir aus der Konsumwelt kennen, können und sollten wir auch auf die Finanzwelt übertragen“, sagt sie. Wenn diese Ansprache nun dazu führt, dass Frauen sich überhaupt erst einmal mit Investments beschäftigen, sei das immer noch besser, als wenn sie sich gar nicht in den Bereich vorwagen, stimmt Niessen-Ruenzi zu.
„Nehmt die Frauen endlich ernst!“
Es ist und bleibt ein Spagat: Einerseits sollen Stereotype aufgebrochen und keine Klischees bedient werden, andererseits will man die Zielgruppe erreichen. Fakt ist: Frauen brauchen genauso viel Rendite wie Männer, wenn nicht mehr. Aber was könnte die Beratungsbranche besser machen? „Nehmt die Frauen endlich ernst! Und stellt euch darauf ein, dass es DIE Frau nicht mehr gibt“, fordert die 42-jährige Kommunikationsberaterin Nina. Sie und ihr Partner haben sich schlussendlich für eine unabhängige Finanzberatung entschieden. „Wir wollten uns von Menschen beraten lassen, die sich besonders gut auskennen und die ein Verständnis von vielleicht eher ungewöhnlichen Lebenssituationen haben.“
Auch Finanzberaterin Helma Sick ist überzeugt, dass Frauen eine Beratung brauchen, die ihre Lebenssituation im Blick hat und der Tatsache gerecht wird, dass sie meist weniger verdienen, also oft mit wirtschaftlichen Nachteilen zu kämpfen haben. Es gehe darum, die „wirkliche Situation von Frauen zu begreifen und sich für sie einzusetzen“, so Sick. Und schließlich brauche es eine Beratung, die sich an die „moderne Frau wendet, die eigenverantwortlich ihre Altersvorsorge managen will und ihr eigenes Geld verdient“.