Allein die PKV wird täglich tausendfach betrogen
Auto-Liebhabern werden bei diesem Anblick die Tränen gekommen sein: Im November 2010 fuhr der Besitzer eines über eine Million Dollar teuren Bugatti Veyrons in den Golf von Mexiko. So schnell wie der Luxusbolide im Wasser landete, so schnell meldete sich Besitzer Andy House auch bei seiner Versicherung. Ein tief fliegender Pelikan hätte ihn abgelenkt, begründete der Texaner seine Tauchfahrt. Seinen „Unfall“ hatten andere Verkehrsteilnehmer jedoch gefilmt – die Aufnahmen zeigten deutlich, dass House den Wagen seelenruhig ins Wasser steuerte.
So leicht wie in diesem Fall haben es Versicherer selten, einen Betrug zu erkennen. Jahr für Jahr entsteht den deutschen Assekuranzen ein Schaden in Höhe von fünf Milliarden Euro, schätzt Peter Holmstoel, Referent für Kriminalitätsbekämpfung beim GDV.
„Durch die Digitalisierung sind Programme zur Bildmanipulation wie Photoshop in den vergangenen Jahren auch für Laien wesentlich leichter verfügbar geworden“, beschreibt Gunnar Tacke, Managing Business Analyst bei Capgemini, das Katz-und-Maus-Spiel zwischen Betrügern und Versicherern, das durch die Digitalisierung in eine neue Runde gegangen ist. „Die Versicherer haben zudem durch ihre Self-Service-Portale die psychologische Hemmschwelle für Betrügereien gesenkt“, fügt Tacke hinzu.
Versicherer rüsten auf
Doch auch die Versicherer rüsten auf. „Die Digitalisierung bietet ebenfalls den Versicherern neue Chancen“, findet Dr. Martin Steinebach vom Fraunhofer Institut für Sichere Informationstechnologie. Mittels computerbasierter Auswertungen könnten Schadensfälle nicht nur effizienter bearbeitet werden, es entstünden auch neue Analyseverfahren zur Betrugsaufdeckung.
Hierzu gehören Bild- und Textforensik oder auch die Finanzdatenanalyse. Insbesondere die Bildforensik steht bei vielen Versicherern hoch im Kurs, bietet sie doch neben der Manipulationserkennung zahlreiche weitere Möglichkeiten: So gibt es „effiziente Suchmethoden, mit denen man feststellen kann, ob ein Bild bereits in einem anderen Fall ebenfalls als Beleg eingereicht wurde. Dies ließe sich sogar datenschutzkonform zu einer versicherungsübergreifenden Datenbank ausbauen“, erklärt Steinebach.
Einen ähnlichen Ansatz verfolgt das niederländische StartUp Brightmaven. Dessen Software „Sjerlok“ durchsucht Social-Media- und Verkaufsplattformen im Internet nach gestohlenen Gütern, beispielsweise Autos. Obwohl man noch in der Anlaufphase sei, habe man für die drei deutschen Versicherer, mit denen man bislang zusammenarbeite, Autos im Wert von 400.000 Euro wiedergefunden, teilt Gründer Peter van Marwyk mit.
Auch die Private Krankenversicherung ist vor Betrügern nicht gefeit. Jan Franke, Gründer des Jenaer Unternehmens Ico-Lux, das sich auf Betrugserkennung spezialisiert hat, schätzt, dass rund ein Prozent aller Belege in der privaten Krankenversicherung gefälscht ist. Nimmt man nur die zehn größten privaten Krankenversicherer in Deutschland, käme man so bereits auf einen jährlichen Schaden in Höhe von 200 Millionen Euro.
Schnell ist mittels Photoshop oder PDF-Editor eine Arztrechnung bearbeitet, der Rechnungsbetrag erhöht oder das Datum manipuliert, so dass die gleiche Rechnung einen Monat später erneut eingereicht werden kann. Betrüger machen sich dabei vor allem die hohe Anzahl von Belegen zunutze, die tagtäglich bei den Versicherern eingehen. „Bei einem unserer Kunden sind das 200.000 am Tag“, sagt Franke. Deren Verarbeitung erfolgt meist vollautomatisch – eine aufwendige Betrugskontrolle findet somit nicht statt.
Die Jenaer Firma, die derzeit in einem Pilotprojekt mit zwei privaten Krankenversicherern zusammenarbeitet, schaut sich die eingehenden Belege deshalb ganz genau an. Nicht nur den Inhalt – sondern den Beleg als solchen. Mittels Computer-Vision-Technologie und KI-Algorithmen werden die erstellten Bilddateien auf Indikatoren wie Schriftarten, Liniendicken oder die Logos von Ärzten abgeklopft. „Über 100 Merkmale werden hier überprüft“, berichtet Franke. Entdeckt die Software Abweichungen zu vorher eingereichten Belegen, wird Alarm ausgelöst. Bis Ende des Jahres soll die Software ihre Marktreife erreicht haben, doch bereits jetzt stellt ihre Betaversion Unregelmäßigkeiten fest. „Wir konnten in diesem Jahr bereits einen Schaden für die Versicherer in Höhe von 100.000 Euro verhindern“, zeigt sich Franke zufrieden.
Psyche entscheidend
Mit Verhaltenspsychologie versucht es indes das amerikanische StartUp Lemonade, das seit Juni auch in Deutschland Hausrat- sowie Privathaftpflichtversicherungen vertreibt. Zu diesem Zweck haben die Amerikaner den berühmten Psychologen Dan Ariely ins Produktdesign eingebunden. Versicherungsnehmer müssen, bevor sie ihren Schaden melden können, zuerst in der App bestätigen, dass ihr Anliegen aufrichtig ist. Priming nennt man diese Art der Beeinflussung, bei der mittels eines Vorreizes die Richtung der weiteren Gedanken beeinflusst werden soll. Zudem muss der Kunde sein Anliegen mithilfe eines Selfie-Videos schildern. Auch hierdurch sinke die Wahrscheinlichkeit für einen Betrug, zeigt sich Lemonade überzeugt.
Auch in Deutschland kann über die Produktgestaltung Prävention betrieben werden, beispielweise durch eine Beitragsrückgewähr bei Schadensfreiheit. „Das könnte auch abseits der Krankenversicherung Anwendung finden“, glaubt Tacke. Am Ende liege der Erfolg aber wohl in der Kombination aus Verhaltensforschung und technischer Lösung.