Wohin geht die Reise bei Ottonova?
Wachablösung an der Spitze des digitalen Krankenversicherers Ottonova. Seit Anfang des Jahres steht nun Bernhard Brühl am Steuerrad der Münchener, nachdem sein Vorgänger und Firmengründer Roman Rittweger in den Aufsichtsrat gewechselt ist.
Eine grundlegende Neuausrichtung ist von dem studierten Wirtschaftsmathematiker, der seit 2016 bei Ottonova ist, allerdings nicht zu erwarten. „Mit der neuen Finanzierungsrunde haben wir die Ausrichtung ein wenig korrigiert. Wir werden aber den eingeschlagenen Weg vom investierten Start-up zum etablierten Unternehmen weitergehen“, berichtet Brühl im Gespräch mit procontra.
Finanzierungsdruck adé
Im September vergangenen Jahres hatte der digitale Krankenversicherer bekannt gegeben, insgesamt 34 Millionen Euro bei Investoren eingesammelt zu haben. Angesichts allgemein wachsender Zurückhaltung von Investorenseite kann diese Finanzierungsrunde durchaus als Ausrufezeichen betrachtet werden. Insgesamt hat Ottonova damit rund 120 Millionen Euro erhalten.
Die jüngsten Millionen sollen dem Münchener Versicherer Luft zum Durchatmen verschaffen. „Durch die letzte Finanzierungsrunde konnten wir den regelmäßigen Finanzierungsdruck hinter uns lassen“, fasst Brühl zusammen. „Aggressives Wachstum ist nicht mehr zwingend notwendig.“ Stattdessen soll das Spannungsverhältnis zwischen Effizienz, Innovation und Wachstum ein wenig mehr in Richtung Effizienz austariert werden.
Aggressives Wachstum ist nicht mehr zwingend notwendigBernhard Brühl
Ottonova hatte laut Jahresabschluss zu Beginn des Jahres 2021 14.042 versicherte Personen in seinem Bestand, am Ende des Jahres waren es schließlich 23.232 – ein Plus von 86 Prozent. Für Ende 2022 bezifferte Brühl die Zahl der Versicherten auf 40.000. Wie viele davon auf Zusatz- und Vollversicherung entfallen, sagte er nicht. Laut Jahresabschluss entfällt der Großteil jedoch auf die Zusatzversicherung, doch auch bei den Vollversicherungen wächst Ottonova (im Jahr 2021 von 1.854 auf 2.890).
Ein sinkendes Neukundenpotenzial in der privaten Krankenvollversicherung fürchtet Brühl nicht. „In der Vollversicherung wird der Markt durch die steigende Versicherungspflichtgrenze und das Selbstständigensterben schwieriger. Ich bin aber überzeugt, dass der Markt nicht zu klein wird, sondern lediglich umkämpfter“, so Brühl. Mut macht dem neuen Ottonova-CEO unter anderem die steigende Zahl an Verbeamtungen in Deutschland. Zum anderen sieht Brühl vor allem junge, digital affine Menschen in die PKV nachrücken. „Menschen zwischen 30 und 35 Jahren sind mit Apps und anderen digitalen Features aufgewachsen und legen entsprechend großen Wert darauf.“
bKV als wichtiges Standbein
Nichtsdestotrotz will der Versicherer sein Heil nicht allein in der Vollversicherung suchen, sondern hat neben Zusatzversicherungen auch die betriebliche Krankenversicherung als wichtiges Standbein für sich auserkoren. Den Schritt in das neue Geschäftsfeld hatte Ottonova im vergangenen Oktober bekanntgegeben. „Hier sehe ich derzeit das größte Potenzial, auch weil der Markt noch nichtaufgeteilt ist“, bemerkt Brühl. So fliege das Geschäft mit dem betrieblichen Zusatzschutz im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, beispielsweise Frankreich, immer noch unter dem Radar. Brühl ist überzeugt, dass sich das ändern wird. Auch weil der zunehmende Personalmangel die Relevanz sogenannter Mitarbeiterbindungsinstrumente, wie die bKV, für die Unternehmen steigert.
Und darüber hinaus? Ottonova will auch in diesem Jahr ein neues Produkt launchen – Details hierzu will der neue CEO jedoch noch nicht bekannt geben. Schaut man sich mögliche Bereiche innerhalb der Krankenversicherung an, die von den Münchenern noch nicht erschlossen wurden, komme das Thema Pflege in Frage.
Hierauf angesprochen gibt sich Brühl jedoch zurückhaltend. „Pflege ist ein sehr spannendes, aber auch für uns komplett neues Feld.“ Dementsprechend werde man es sich ganz genau anschauen und überlegen, ob und wenn ja, wann man sich hier engagiere.
Was wird aus dem eigenen Lebensversicherer?
Im Sinne des Diktums, effizienter werden zu wollen, wäre der Einstieg in ein komplett neues Themenfeld sicherlich nicht der naheliegendste Schritt. Zumal auch die Konkurrenz zunehmend in Kern-Geschäftsbereich des Krankenversicherers vorzudringen versucht und selbst digitale Angebote für ihre jeweilige Kundschaft veröffentlicht.
Wenn man eine App auf den Markt bringt, ist man noch lange nicht digitalBernhard Brühl
Auch wenn der Markt nicht untätig ist, sieht sich Ottonova weiterhin als „digitaler Vorreiter in der privaten Krankenversicherung“. „Wenn man eine App auf den Markt bringt, ist man noch lange nicht digital“, bemerkt Brühl mit Blickrichtung zur Konkurrenz. „Digitalität ist ja nicht nur, was der Kunde im Frontend sieht. Entscheidend sind vielmehr die Prozesse im Hintergrund und die Geschwindigkeit, mit der die Prozesse greifen. Bis die Konkurrenz so weit ist wie wir, wird es noch sehr lange dauern. Und wir werden unterdessen ja auch nicht untätig bleiben.“
Dauern wird auch noch die Gründung des eigenen Lebensversicherers, die Ottonova 2021 angekündigt hatte. „Die Pläne sind aufgrund des derzeitigen Marktumfeldes erst einmal verschoben“, so Brühl. Aufgehoben sind sie aber keineswegs. „Die Lebensversicherung ist von unserem Geschäft gar nicht so weit weg, wie man vielleicht denkt“, sagt Brühl mit Blick auf Risikoleben- und Biometrieprodukte. „Diese sind schon sehr nah an Krankenversicherungsprodukten dran.“ Erst einmal soll der Fokus aber weiter auf dem Krankenversicherungsgeschäft liegen und erstmals die Profitabilitätsschwelle übersprungen werden. „In diesem Jahr wird es uns nicht mehr gelingen, aber lange müssen wir auf den Break-even nicht mehr warten“, ist Brühl überzeugt.