Klau am Bau
Explodierende Rohstoffpreise, unterbrochene Lieferketten, akuter Materialmangel: Die Baubranche ächzt unter den aktuellen Entwicklungen. Dabei handelt es sich um ein Problem, dass nicht neu ist: Die Baustoffpreise sind bereits im vergangenen Jahr so stark angestiegen, wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Die Kosten für Konstruktionsvollholz haben laut Statistischem Bundesamt um 77 Prozent zugelegt, für Betonstahl mussten Bauherren das Doppelte berappen. Auch die Preise für Kupfer und Bitumen sind 2021 mit einem Anstieg um 27 und 36 Prozent empfindlich teurer geworden.
Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine hat sich die Situation noch einmal deutlich verschärft. Zum ersten Mal seit über drei Jahrzehnten musste sogar die Londoner Metallbörse ihren Handel vorübergehend einstellen, die Preise hatten sich von der Realität abgekoppelt. Die Preisrally an den Rohstoffmärkten setzt sich derweil unbeirrt fort. Der Erzeugerpreisindex lag im März dieses Jahres bei Betonstahl um etwa 60 Prozent über dem Vorjahresniveau, Dämmmaterial legte circa 40 Prozent zu.
Die Auswirkungen auf die Baubranche sind fatal: „Wir sehen schlimmere Engpässe bei vielen Baumaterialien als in der Hochphase der Pandemie. Gleichzeitig explodieren Energie- und Materialpreise“, warnt Reinhard Quast, der Präsident des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe (zdb).
Massiver Stahl- und Kuper-Diebstahl
Mit den Baupreisen steigen die gesamten Baukosten. Und die wiederum treiben die Versicherungsprämien nach oben. Denn: Je höher die Baukosten, desto höher die Beiträge. Und ein weiteres Problem beschäftigt die Branche: Das wertvolle Baumaterial weckt Begehrlichkeiten bei Dieben.
Während die Anzahl der Delikte laut Kriminalstatistik von gut 24.000 (2020) auf 22.700 (2021) zwar geringfügig gesunken ist, könnte das in diesem Jahr wieder anders aussehen: „Wir stellen einen massiven Kleingeräte- und Kleinteileklau fest: Stahl, Kupfer, Kabel. Alles, was einfach mitgenommen werden kann, rumliegt und nicht fest verbaut ist, ist ein zunehmendes Thema“, warnt Burkhard Brämer, Geschäftsführer von Bauass Versicherungsmakler. Der Versicherungsspezialist für die Baubranche beobachtet, dass auch gelagertes Material gerade häufiger gestohlen wird, die Anzahl der Schadenfälle steigt.
Das werde die Nachfrage nach einer speziellen Diebstahlpolice befeuern, ist Brämer überzeugt. Schließlich deckt die Bauleistungsversicherung, der herkömmliche Versicherungsschutz für Bauprojekte, nur das ab, was fest verbaut ist. Kleine Geräte wie Bohrer oder herumliegendes Material sind nicht miteingeschlossen. „Man kann über eine Deckungserweiterung auch Teile des lagernden Materials mitversichern“, so Brämer.
Diese Policen sind sinnvoll
Er empfiehlt Bauherren auch durchaus den Abschluss dieser Police. Allerdings knüpfen Versicherer dann bestimmten Bedingungen an den Schutz: So müssen die Baumaßnahme und damit auch die Prämie der Grunddeckung eine nennenswerte Größe haben und eine Bewachung oder Überwachungsanlagen vorhanden sein. „Insgesamt prüfen die Versicherer sehr genau den Wert und die Transportfähigkeit des Materials, das Verhältnis zwischen Prämie und dem Wert des lagernden Materials, die Bewachung und die Lage der Baustelle.“
Eine Deckung für Klein- und Kleinstgeräte empfiehlt der Makler hingegen nicht. Ein Diebstahl in dieser Größenordnung gefährde schlicht nicht die Existenz des Bauunternehmers. „Außerdem ist das meist ein für beide Seiten unbefriedigendes Wechselspiel aus Diebstahl, Regulierung, Selbstbehaltsanforderung und Sanierung.“ Insgesamt sei der Aufwand schlicht zu hoch, Bauherren sollten ihre Energie besser in eine sichere Aufbewahrung zu stecken und mit eigenen Schutzmaßnahmen dagegenhalten. Eine Baustellenüberwachung via Video sei demnach sinnvoller. „Das wird von Bauherren auch viel mehr nachgefragt. Aber leider interessiert das die Versicherer gar nicht“, kritisiert er. Soll heißen: Auch wenn ein Bauherr seine Baustelle professionell schützt, verringert das nicht die Versicherungsbeiträge.
Das liege auch an der Kalkulation der Versicherer, die den Großteil der Prämie für Großschäden wie Brände oder Überschwemmungen vorsehen und nur einen deutlich kleineren Teil für den Diebstahl fest verbauter Teile. Die Versicherer bewerten das Thema Diebstahl einfach als kleineres Problem. Doch das könnte sich schon bald ändern: „Nach den uns vorliegenden Informationen und Auskünften, insbesondere aus externen Quellen, wird eine Zunahme von Baumaterial-Diebstahl gesehen“, erklärt Stefan Lutter, Pressesprecher der VHV-Gruppe, einem der größten Versicherer für die Baubranche. Infolge von Material-Lieferengpässen komme es außerdem zunehmend zu „Verzögerungen bei der Leistungserbringung“. Betriebsunterbrechungen sind ein großes finanzielles Risiko für Bauherren, die dann mit Schadenersatzansprüchen vonseiten der Investoren rechnen müssen. Für kleine und mittlere Unternehmen kann das schnell existenzbedrohend werden.
Material zügig verbauen
Und auch hier spielt das Thema Diebstahl wieder eine Rolle, denn wenn dann endlich das ersehnte Baumaterial angekommen ist, warten schon Diebe auf ihre Chance. Ist ihr Beutezug erfolgreich, kann das schlimmstenfalls in einer Unterbrechung des Bauvorhabens enden. „Natürlich haben wir die Sorge, dass etwas geklaut wird. Wir sehen zu, dass wir die Materialien zeitnah verbauen“, sagt der Bauunternehmer Gerrit Büter, Geschäftsführer von Büter Bau, einem niedersächsischen Unternehmen mit einhundert Mitarbeitern.
Die Kosten für sein derzeit größtes Projekt liegen bei um die 50 Millionen. Die Baustelle hat er deswegen auch umzäunen lassen, ein Wachdienst patrouilliert regelmäßig. Die Kosten dafür trägt er selbst. „Die Versicherungsprämien sinken nicht, obwohl wir damit ja auch die Teile schützen, die versichert sind“, kritisiert auch Büter. Allerdings bieten selbst diese Vorkehrungen keinen abschließenden Schutz. So haben Diebe auch schon mal aus den Wänden und der Decke bereits verbaute Kabel mitgehen lassen. Und trotz Wachdienst und Umzäunung wurden von der 50-Millionen-Basutelle bereits zweimal herumliegende Kabel gestohlen.
Der Bauunternehmer erwartet, dass die Häufigkeit von Diebstählen zunehmen wird, „angesichts weiter steigender Lebenshaltungskosten bei Reallohnverlusten für die Bevölkerung und weiterhin ebenfalls hoch bleibenden Rohstoffpreisen“. Dennoch hat sich Büter gegen eine Diebstahl-Police für sogenannte Kleinteile entschieden. Sie würde sich nur dann lohnen, wenn dreimal so viel wie bisher geklaut wird. Schwere Seecontainer, die mit schweren Vorhängeschlössern das begehrte Material schützen sollen, müssen vorerst genügen. Zumal er auch bisher von einer Betriebsunterbrechung durch den Klau am Bau verschont geblieben ist.
In der Regel lassen Bauherren einen Ausfall nicht versichern. Es gibt zwar eine entsprechende Police, aber sie wird nur selten abgeschlossen. „Die BU-Deckung ist recht teuer“, sagt Versicherungsmakler Burkhard Brämer. Versicherer sind auf den Abschluss solcher Policen auch kaum angewiesen. Ihr Geschäft mit der Bauleistungsversicherung sei rentabel genug. „Es gibt Sparten, in denen die Versicherer kaum noch Geld verdienen, aber das würde ich für die Bauleistungsversicherung ausschließen, sie ist auskömmlich.“
Schließlich erhöhen die Anbieter vor dem Hintergrund der gestiegenen Baukosten die Prämien und das, gleichwohl sich die Schadensumme durch Diebstähle noch in Grenzen halten. „Diese ehrlichen und offenen Worte hören Sie jetzt von einem Makler, ein Versicherer wird das sicherlich anders sehen und eher auf die Großschäden aus den Unwetterereignissen der vergangenen Jahre verweisen“, so Brämer.