17,8 Millionen Deutsche sind jährlich von einer psychischen Erkrankung betroffen. Therapieplätze sind knapp, viele Betroffene warten mitunter monatelang auf eine Behandlung. Wer dann endlich einen Platz beim Therapeuten ergattert hat, könnte allerdings bei der zukünftigen Krankenversicherung Probleme bekommen. Konkret geht es um den Wechsel von der gesetzlichen in die private Krankenversicherung. Eine zurückliegende Behandlung durch einen Psychotherapeuten stufen private Krankenversicherer oft als hohes Risiko ein, viele lehnen Neukunden mit Therapieerfahrung automatisch ab.
Zusammen mit der PKV-Spezialistin Anja Glorius hat procontra Voranfragen für Musterkunden mit unterschiedlichen therapeutischen Behandlungen an insgesamt 22 Versicherer geschickt. Vorab: Die Reaktionen überraschten und erlauben die Frage, ob die Gesellschaften noch angemessen entscheiden. Zumal sich nicht jeder wegen einer Depression behandeln lässt. Manche wollen sich vielleicht nur beruflich coachen lassen. Wieder andere stecken in einer kriselnden Ehe und wagen den Schritt zum Paartherapeuten. Doch auch das sind Faktoren, die die Voranfrage – negativ – beeinflussen. Bleibt die Psychotherapie also ein Killerkriterium für den Wechsel in die PKV?
Maria (37), leitende Angestellte im Bankensektor, 3 Sitzungen Psychotherapie vor 2 Jahren wegen Scheidung vom Ehepartner, seitdem behandlungs- und beschwerdefrei, erst- und einmalig aufgetreten
Auch in dem zweiten Musterfall hat die Mehrheit der PKV-Anbieter die Voranfrage abgelehnt. „Wenn eine Person eine Psychotherapie absolviert hat, die noch im Abfragezeitraum liegt, lehnen Versicherer fast immer ab“, erklärt Maklerin Glorius. Die Allianz würde Musterkundin Maria zwar annehmen, jedoch nur verbunden mit einem Risikozuschlag in Höhe von 18 Prozent der Prämie. Andere wiederum fordern den Abschlussbericht des behandelnden Psychotherapeuten, um auf Grundlage dessen eine Entscheidung treffen zu können. Darin müssen die Diagnose, die Beschwerden, Behandlung und Behandlungsdauer, Folgen und Verlauf bis heute angegeben werden.
Risikovoranfragen für eine Interessentin mit Psychotherapie-Erfahrung
Quelle: procontra in Zusammenarbeit mit PKV-Maklerin Anja Glorius
Auf procontra-Nachfrage ruderte die Signal Iduna jedoch teilweise zurück und räumt selbstkritisch ein: „Die Anfrage hätte im Rahmen einer individuellen Prüfung aufgrund von aussagekräftigen Berichten nicht zwingend abgelehnt werden müssen.“ Man wolle den Fehler nun prüfen. Das Ergebnis der Voranfrage zeige, an welchen Stellen der Versicherer noch nachjustieren müsse.
Unbedingt anonymisierte Voranfragen stellen
Während also die meisten Anbieter Maria abgelehnt haben und andere umfassende Nachfragen stellen, fordern wieder andere eine Selbstauskunft. Dabei handelt es sich um eine Art psychologischen Fragebogen, den Glorius meist gemeinsam mit ihren Kunden ausfüllt. Allerdings weiterhin anonymisiert. Selbst bei einem ärztlichen Attest macht sie Informationen, die auf eine konkrete Person schließen lassen, unkenntlich.
Erst wenn der Versicherer auch nach der Selbstauskunft sein „OK“ gibt, stellt die Maklerin den offiziellen Antrag inklusive aller persönlicher Kundendaten. Glorius ist skeptisch, sie hat wenig Vertrauen in die Branche und befürchtet, Versicherer könnten Voranfragen trotz des Datenschutzes speichern und sich dann untereinander austauschen.
Und dieses Wissen würde die Versicherbarkeit potenzieller Neukunden weiter erschweren. Denn, wenn dann nämlich der tatsächliche Antrag doch noch abgelehnt wird, kann sich die Maklerin zwar auf die Risikovoranfrage berufen. Allerdings handelt es sich dabei nur um ein unverbindliches Angebot. „Im schlimmsten Fall wird der Antrag, in dem die persönlichen Kundendaten stehen, abgelehnt. Wenn man danach einen anderen Versicherer anfragt, muss man die Ablehnung wieder angeben.“ Mit den entsprechenden negativen Folgen. Wer nun aber nicht wahrheitsgemäß antwortet, riskiert einen späteren Versicherungsrücktritt oder sogar eine Kündigung.
Ist es akut oder chronisch?
Doch unabhängig davon stellt sich die Frage: Was ist denn nun letztlich ausschlaggebend dafür, ob ein PKV-Interessent trotz Therapie angenommen wird? Ist es die Art der Behandlung, also ob es sich um eine Verhaltens- oder Psychotherapie gehandelt hat? „Die Wahl des Therapieverfahrens ist nicht entscheidend für eine Risikobeurteilung“, erklärt ARAG-Pressesprecher Christian Danner. Auch der ARAG gehe es um das Wieder-Erkrankungsrisiko. Offenbar geht der Versicherer davon aus, dass eine Person mit 30 Sitzungen beim Verhaltenstherapeuten eher wieder in eine psychische Krise abrutschen könnte als eine Person mit drei Sitzungen beim Psychotherapeuten.
Die Bayerische Beamtenkrankenkasse (BK) hingegen, die in beiden Fällen nicht abgelehnt, sondern weitere Informationen eingefordert hat, unterscheidet zwischen einer akuten Belastungsreaktion und einer schweren depressiven Episode, erklärt der Versicherer auf Nachfrage. Ähnlich sieht das die HanseMerkur: „Endogene Formen, wie sie z. B. im Falle einer Depression vorliegen, sind in der Regel nicht versicherbar, während eine Versicherbarkeit bei exogenen Formen, z. B. Trennung vom Ehepartner, nicht ausgeschlossen ist.“
Auch die Nürnberger will letztlich wissen: Ist es akut oder chronisch? Was hat die Krise ausgelöst? Ein Vorgehen, das PKV-Maklerin Anja Glorius begrüßt, denn: „Es ist doch etwas anderes, ob jemand punktuell eine schwere Zeit hat und Hilfe braucht oder ob jemand dauerhaft labil ist und ein Kindheitstrauma bewältigen muss. Diese Abgrenzung fällt den Versicherern aber extrem schwer.“
Fazit: Vermittler sollten Ablehnung hinterfragen
Das Fazit des procontra-Tests: Eine Person, die dreimal eine Psychotherapie in Anspruch genommen hat, sehen die Versicherer noch kritischer als eine Kundin, die 30 Stunden Verhaltenstherapie absolviert hat. „Es gibt auch Versicherer, die zeitgemäß reagieren, aber 75 Prozent aller Anbieter sind völlig an der Zeit vorbei“, bemängelt PKV-Maklerin Glorius. Sie fordert, dass Versicherer das Thema gesellschaftspolitisch neu bewerten und die Stigmatisierung beenden sollten.
Der Test zeigt Vermittlern aber auch, dass es sich lohnen kann, eine Ablehnung noch einmal zu hinterfragen und auf eine individuellere Prüfung zu pochen. Der eine oder andere Versicherer überdenkt seine Entscheidung dann vielleicht nochmal. „Ich würde mir wünschen, dass Psychotherapien wegen anlassbezogener Leiden, wie eine Scheidung oder ein Todesfall, nicht so streng gewertet werden“, so die Maklerin.