„Wer sich nur auf Prämien konzentriert, wird austauschbar“
In unserer aktuellen Themenwoche beschäftigen wir uns mit der Frage, inwiefern das Thema Schadenprävention auch in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen wird. „Prävention ist ein Thema, das alle gesellschaftlichen Gruppen betrifft“, mahnte erst kürzlich GDV-Geschäftsführer Jörg Asmussen. Schließlich erwarten auch Risikoanalysten, dass Versicherer künftig jedes Jahr immer höhere Schäden durch Naturkatastrophen, Cyberangriffe und andere Gefahren stemmen müssen.
procontra: An welcher Stelle sollten Makler beim Thema Prävention gegenüber ihren Kunden ansetzen?
Matthias Böhm: Ich bin davon überzeugt, dass Makler die Sachverwalter der Gesamtrisikokosten der Kunden sind. Sie dürfen sich nicht nur damit beschäftigen, Prämien zu optimieren oder Selbstbehalte und die Anzahl nicht-versicherter Schäden so gering wie möglich zu halten. Wer sich allein darauf fokussiert, wird beliebig und austauschbar.
procontra: Aber für viele Kunden steht doch das Einsparpotenzial bei den Versicherungsprämien an erster Stelle?
Böhm: Sagen wir ein Unternehmen macht zehn Millionen Euro Umsatz pro Jahr und zahlt jährlich 100.000 Euro für die Versicherungsbeiträge, dann sind noch geringere Prämien einfach uninteressant. Wenn ein Makler erklärt, wie durch präventive Maßnahmen der Umsatz stabil gehalten werden kann, sichert er als Kümmerer das eigentliche Geschäftsmodell. Gerade bei der Betreuung von Gewerbe- und Industriekunden ist das Wissen rund um präventive Maßnahmen deswegen immens wichtig.
procontra: Also sollten Makler zum Vorsorge-Berater werden?
Böhm: Die Beratung ist zur existenziellen Frage geworden, denn durch die Digitalisierung rückt die Beratungskompetenz stärker in den Fokus. Beratung ist unsere Daseinsberechtigung. Und nur über Prävention bekommen wir überhaupt noch attraktive Versicherungsangebote für unsere Kunden.
procontra: Wie und wo können sich Makler zum Thema Prävention informieren?
Böhm: Der Verband der Sachversicherer bietet Seminare zum Thema Einbruchschutz, Brandschutz oder Cyberschutz an. Es gibt eine berufsbegleitende Akademie, an der Weiterbildungen zum technischen Underwriter angeboten werden. Das kann helfen, den Zusammenhang zwischen technischen und kaufmännischen Versicherungselementen besser zu verstehen. Viele Maklerhäuser holen sich die Experten gleich direkt ins Haus. Wir haben unter anderem Seeleute und Kapitäne an Bord, weil wir uns traditionell viel mit der Prävention auf Transporten, zum Beispiel mit der Ladungssicherheit beschäftigen.
procontra: Und wie reagieren Versicherer auf den gestiegenen Bedarf an Prävention?
Böhm: Sie holen sich ebenfalls immer öfter die Experten ins Unternehmen: HDI hat gerade Perseus gekauft, eine Firma für Cybersicherheit in Unternehmen. Vor kurzem sind Ergo und Bosch Cyber Compare eine Kooperation eingegangen. Bosch hat damit jetzt eine eigene Abteilung für das Thema Cyber-Security, die Schwachstellen im Vorhinein aufspürt. In dem Bereich rüsten die Versicherer sehr, sehr stark auf.
procontra: Welche Rolle spielt das Thema Nachhaltigkeit für die Prävention?
Böhm: Es zeichnet sich momentan der Trend ab, dass immer mehr Versicherer, die sich das Thema CSR auf die Fahne schreiben, auch solche Unternehmen versichern wollen, die diesen Aspekt ebenfalls deutlich nach vorne treiben. Sie gehen davon aus, dass diese Unternehmen, auch sorgsamer mit allen anderen Unternehmenswerten umgehen. Das ist der Brückenschlag zur Prävention. Wer achtsamer mit den Ressourcen umgeht, hat eine andere Grundhaltung im Unternehmen.
procontra: Welche Punkte werden beim Thema Schadenprävention noch vernachlässigt?
Böhm: Was man nie vergessen darf: Es bleibt immer der Faktor Mensch. Viele Schadstoffprogramme werden per E-Mail verschickt, da helfen bestimmte Vorkehrungen seitens der Unternehmen nur bedingt, wenn Angestellte diese E-Mails öffnen. Wenn ich bestimmte Gefahren nicht ausschalten kann, muss ich mich darauf konzentrieren, wie die Schadeneintrittsmöglichkeit reduziert und die Höhe und das Ausmaß des Schadens gemanaged werden können: Die Schadennotfallplanung und das sogenannte Business Continuity Management (BCM), also die Strategien zur Aufrechterhaltung der Betriebsfähigkeit eines Unternehmens, werden deswegen noch mehr an Bedeutung gewinnen.
procontra: Was sollten Unternehmen beim Business Continuity Management beachten?
Böhm: Es geht ja darum, trotz eines Schadens wieder schnell handlungsfähig zu sein. Unternehmen sollten sich zum Beispiel fragen, ob es andere Firmen gibt, die für sie im Fall einer Betriebsunterbrechung weiter produzieren können. Haben sie im Schadenfall Kontakt zu den richtigen Handwerkern? Wenn es einen Mangel an Handwerkern gibt, könnten sie auch eigene Mitarbeiter aus der Wartung und Instandhaltung darin ausbilden lassen, eine Notabdeckung vorzunehmen. Und Ersatzteile könnten auf Vorrat beiseitegelegt werden.
procontra: Wie lautet Ihre Prognose: In welchen Bereichen werden präventive Maßnahmen zunehmen?
Böhm: Ich glaube, dass das die Haftpflichtversicherung für Geschäftsführer und Manager, also die D&O, stärker auf die Agenda rücken wird. Es wird künftig noch wichtiger, Entscheidungsprozesse im Unternehmen zu dokumentieren und zu überprüfen, ob und wie Rechtspflichten und Investitionsentscheidungen eingehalten werden. Unternehmen werden noch stärker versuchen, durch Compliance und geeignete Entscheidungsstrukturen, Schäden abzuwenden.
procontra: Warum wird die Prävention bei der Absicherung von Geschäftsführern und Managern immer wichtiger?
Böhm: Weil Kunden den Schutz nicht mehr zu einem adäquaten Preis bekommen. Die D&O war lange sehr günstig, die Versicherungssummen waren nicht gedeckelt. Die Preise haben sich astronomisch erhöht, teilweise verdreifacht bis verzehnfacht. Immer weniger Versicherer stehen für diese Risikoabwälzung zur Verfügung.
procontra: Warum ist die Deckung so viel teurer geworden?
Böhm: Das könnte auch etwas mit den gesellschaftlichen Strukturen zu tun haben. Verantwortung zu übernehmen und für Entscheidungen gerade zu stehen, war viele Jahre lang die prägende unternehmerische Haltung. Unsere gesellschaftliche Struktur hat sich amerikanisiert: Wenn ein Aufsichtsrat einen Vorstand nicht für dessen Fehlverhalten verantwortlich macht, ist er selbst dran. Dieser Trend führt vermehrt zu Schäden.