Vertriebe in der Kritik 2/3

Strukturvertrieb vs. Maklerpool – wie fair ist der Kampf um Vermittler?

Beim Buhlen um Fachkräfte sehen einige Vertriebe Grenzen überschritten. Wer mit wem im Clinch liegt und wie Juristen den Wettbewerb bewerten

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15:01 Uhr | 18. Januar | 2023
Strukturvertrieb vs Maklerpool - Kampf um Vermittler

| Quelle: Vaselena

Der Fachkräftemangel ist allgegenwärtig. Nahezu jede Branche sucht händeringend Fachpersonal und Mitarbeiter. Auch qualifizierte Finanzberater und Finanzberaterinnen sind bundesweit gefragt. Rund 1.600 offene Stellen schrieb allein das Portal Stepstone im Dezember 2022 aus. Die Not ist groß und macht bekanntlich erfinderisch.

Kampf mit fairen Mitteln?

Beim Ringen um Fachkräfte rumort es auch seit einigen Monaten zwischen Strukturvertrieben und dem freien Maklervertrieb. Auf den ersten Blick ein altbekannter Wettbewerb der Vertriebswege, der jedoch jede Menge Sprengkraft auf verschiedenen Ebenen mit sich bringt. „Aktuell sehen wir im Markt einen Kampf um Vermittler, welcher offensichtlich auf dem Rücken der Kundinnen und Kunden ausgetragen wird“, meint eine Sprecherin der Kölner OVB Vermögensberatung AG gegenüber procontra. „Insbesondere ein Maklerpool geht dabei aggressiv bei der Abwerbung von Vermittlern aus der Ausschließlichkeit sowie aus Strukturvertrieben vor und fördert damit in vielen Fällen die Umdeckung von Versicherungsverträgen“, lautet der Vorwurf.

Dabei muss ein Wechsel der Vertriebswege nicht automatisch mit Umdeckungen einhergehen. Natürlich haben Vermittler ein Interesse daran, ihre Kunden auch nach einem Wechsel weiterhin zu betreuen. Das ist in der Praxis auch durch ein Maklermandat möglich, ohne dass dafür Verträge umgedeckt werden müssen. Daher sind unnötige Umdeckungen wohl eher eine Frage des Vermittlers selbst und seines Pflichtbewusstseins gegenüber seinen Kunden als allein der Tatsache geschuldet, dass er sich für einen neuen Vertriebsweg entschieden hat.

Telis stört sich an Fonds Finanz

OVB vermeidet es, den „einen“ Maklerpool zu benennen. Martin Pöll, Vorstand des Telis-Strukturvertriebs, wird konkreter. Er stört sich an den Methoden der Fonds Finanz und sieht die Grenzen des Erlaubten teilweise überschritten. Im Exklusiv-Interview mit procontra ordnet er ein, dass er kein Problem damit habe, wenn sich Mitarbeiter umorientieren oder auch von einem Unternehmen aktiv abgeworben würden. „Die Rechtsprechung untersagt jedoch die gewerbsmäßige Abwerbung, wo das suchende Unternehmen strukturell versucht, Vermittler aus anderen Vertrieben rauszulösen. Das fand in der Vergangenheit statt, und da ist für mich eine Grenze überschritten worden“, beklagt Pöll.

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Eine Bewertung von außen ist hierbei schwer. Manfred Hammer, Rechtsanwalt und Spezialist für Wettbewerbsrecht von der Kanzlei Menold Bezler, verweist auf den grundsätzlich zulässigen Wettbewerb um Mitarbeiter: „Es müssen besondere Unlauterkeitsmerkmale hinzukommen, die das Abwerben von Mitarbeitern im konkreten Fall verwerflich und unlauter erscheinen lassen. Solange nicht mit irreführenden Angaben über das eigene Angebot geworben oder Falschbehauptungen über ein konkurrierendes Unternehmen geäußert werden, genießen Unternehmen großen Freiraum bei der Suche nach Mitarbeitern. Die Abwerbung von Mitarbeitern ist grundsätzlich auch dann noch nicht unlauter, wenn die Abwerbeversuche gezielt und ‚strukturell‘ erfolgen, solange dies nicht in der erkennbaren Absicht geschieht, den aktuellen Arbeitgeber als Konkurrenten auszuschalten, und die Abwerbung von Mitarbeitern nicht gezielt als Mittel zur Aushöhlung des Wettbewerbers eingesetzt wird.“ 

Manfred Hammer, Rechtsanwalt und Spezialist für Wettbewerbsrecht von der Kanzlei Menold Bezler

Manfred Hammer, Rechtsanwalt und Spezialist für Wettbewerbsrecht von der Kanzlei Menold Bezler | Quelle: Kanzlei Menold Bezler

Es müssen besondere Unlauterkeitsmerkmale hinzukommen, die das Abwerben von Mitarbeitern im konkreten Fall verwerflich und unlauter erscheinen lassen.
Manfred Hammer, Rechtsanwalt und Spezialist für Wettbewerbsrecht von der Kanzlei Menold Bezler

Die Darlegungs- und Beweispflicht für eine unlautere Abwerbung läge demnach bei der Telis. Fonds-Finanz-Chef Norbert Porazik zu seinen Absichten: „Wir sind immer auf der Suche nach guten Poolpartnern und werben mit den Vorteilen einer selbstständigen Maklertätigkeit und einer Fonds-Finanz-Anbindung. Die Werbung richtet sich aber an die Öffentlichkeit, demgegenüber sprechen wir keine Einzelpersonen zum Zwecke der Abwerbung direkt an.“

Hilfestellung beim Wechsel

Fonds Finanz trommelt in jedem Fall laut und omnipräsent für das Thema „Vom Strukturvertrieb zum Maklerstatus“. 2022 ganz besonders. Über die hauseigenen Medien oder auf der Hauptstadtmesse in Berlin, wo ehemalige Strukturvertriebler über ihren Statuswechsel referierten, Juristen über Haftungsfallen beim Wechsel in die Maklerschaft aufklärten oder Experten einen Vergleich zwischen Strukturvertrieb und Maklerschaft anstellten. Da wird schon ziemlich deutlich, wo nach neuen Anbindungen gefischt wird.

Doch auch in diesen konkreten Maßnahmen sieht Hammer noch keine rechtlichen Grenzen überschritten: „Es spiegelt das Angebot und Services eines Unternehmens wider und stellt nicht per se einen unlauteren Wettbewerb dar. Auch eine professionelle, werbewirksame Abwerbungsstrategie unter Einschluss von praktischen Tipps und Aufklärungen im Zusammenhang mit einer Kündigung und einem Wechsel der umworbenen Mitarbeiter ist nicht unlauter.“

Darunter fällt auch der Einsatz eines Leitfadens für Handelsvertreter, den die Kanzlei Wirth Rechtsanwälte aus Berlin entwickelte und der Handelsvertretern wichtige Fragen beantworten soll. „In erster Linie dient der Leitfaden der Konfliktvermeidung. Wir wollten in verständlichen Worten über die Rechte und Pflichten beider Seiten aufklären, um damit schon im Vorfeld Streit zu vermeiden“, erklärt Daniel Berger von Wirth Rechtsanwälte die Motivation hinter dem Leitfaden. Und Konfliktpotenzial scheint es im Trennungsfall jede Menge zu geben, das in einzelnen Fällen auch echte Existenznöte verursacht.

Private Darlehen für Ex-Strukkis

Gegenüber procontra bestätigte Porazik, dass er sogar private Darlehen an ehemalige Strukturvertriebler vergebe, die während ihrer teilweise sehr langen Kündigungsfrist in Liquiditätsnot geraten (procontra berichtete).

Zu Bedingungen und Rückzahlung der Kredite machten weder Fonds Finanz noch Porazik auf Nachfrage genauere Angaben, da es eine Privatsache sei und unabhängig von den Geschäftstätigkeiten der Fonds Finanz erfolge. Rechtsanwalt Hammer sieht auch dieses Instrument nicht ohne Weiteres außerhalb des rechtlichen Rahmens des freien Wettbewerbs: „Die Vergabe privater Kredite durch einen Geschäftsführer ist in diesem Zusammenhang vermutlich marktunüblich, macht meines Erachtens aber die Abwerbungen durch das Unternehmen, deren Geschäftsführer der Darlehensgeber ist, nicht per se unlauter. Wichtig ist, dass sich die Kreditnehmer über die Darlehensbedingungen und eventuell entstehende Verpflichtungen aus dem Vertrag bewusst sind und die Darlehen zu marktüblichen Konditionen angeboten werden.“

Hier gehe es zum Beispiel um Zinskonditionen oder um eine eventuelle geschäftliche oder zeitliche Bindung an die Fonds Finanz. „Ob die Vergabe der Darlehen bereits gewerbsmäßig erfolgt und unter Umständen genehmigungspflichtige Bankgeschäfte vorliegen, kann ich dagegen nicht beurteilen“, ergänzt Hammer.

Wir sind immer auf der Suche nach guten Poolpartnern und werben mit den Vorteilen einer selbstständigen Maklertätigkeit und einer Fonds-Finanz-Anbindung. Die Werbung richtet sich aber an die Öffentlichkeit, demgegenüber sprechen wir keine Einzelpersonen zum Zwecke der Abwerbung direkt an.
Norbert Porazik, Fonds Finanz Maklerservice GmbH

Zeitlich kann der thematische Fokus auf den „Statuswechsel“ bei Fonds Finanz 2022 in Zusammenhang mit dem Einstieg von Hg Capital gebracht werden. Immerhin übernahm Hg Capital 60 Prozent zum Jahreswechsel 2021/22. Marktbeobachter sehen dadurch den Wachstumsdruck erhöht. „Wirtschaftliches Wachstum habe ich noch nie als Druck, sondern als elementares unternehmerisches Ziel verstanden“, entgegnet Porazik. „Wir sind für Investoren interessant, weil wir kontinuierlich und gesund wachsen – sowohl organisch als auch anorganisch. Das werden wir fortsetzen, gemeinsam mit Hg Capital aber noch beschleunigen.“

Kampf der Systeme - kein neues Phänomen

Das Buhlen um Fachkräfte, auch aus den Struktur- und AO-Vertrieben, ist nicht nur für Fonds Finanz interessant. Viele Maklerpools werben, unterschiedlich offensiv, mit den Vorzügen einer freien Maklerschaft. Doch wenn der Marktführer das Thema angeht, dann steigt die Nervosität im Markt. Dabei sind auch andere Pools erfolgreich beim Werben um gebundene Berater.

Starken Zulauf an ehemaligen Strukturvertrieblern vermeldet beispielsweise auch Jung, DMS & Cie.: „Die Hälfte unserer Neuzugänge stammt aus dem Strukturvertrieb“, berichtet Vorstandsvorsitzender Dr. Sebastian Grabmaier. Maxpool aus Hamburg spricht von 20 Prozent ihrer Neuanbindungen mit einer Historie im Strukturvertrieb. Auch blau direkt verfügt über „größere Einheiten auf ihrer Plattform, die darauf spezialisiert sind, bei einem Systemwechsel zu helfen“. Netfonds erhält ebenfalls „diverse Anfragen von Strukturvertrieblern und bietet spezielle Unterstützungsmodelle für die erste Phase, damit ein Wechsel funktioniert“, berichtet eine Sprecherin gegenüber procontra.

Bewegungen zwischen den Vertriebswegen gab es schon immer. Die aktuelle Dynamik rührt daher, dass die jeweiligen Vor- und Nachteile – vor allem durch die sozialen Netzwerke – immer transparenter werden. Wem gehören die Kunden? Welche Einkommenschancen werden geboten? Wem gegenüber ist man verpflichtet? Wo kann man als Unternehmer frei agieren und wo können Kunden unabhängig beraten werden? Das sind Fragen, die Berater bei der Wahl ihres Vertriebsweges umtreiben und sich immer transparenter selbst beantworten können. Wer als Vertriebsweg zeitgemäße Angebote und Antworten liefert, wird weiterwachsen und den härteren Wettbewerb um Fachkräfte auch aushalten können.