Aktienrente: „Zehn Milliarden Euro können nur ein Einstieg sein“

Die Pläne für die Umgestaltung der Altersvorsorge in allen drei Säulen sind groß in der Ampel-Koalition – doch was ist tatsächlich umsetzbar angesichts der veränderten politischen Lage? Über die Pläne für die Aktienrente, die Riester-Reform und den Sparerpauschbetrag sprach procontra mit Florian Toncar, parlamentarischer Staatssekretär im Finanzministerium.

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07:04 Uhr | 11. April | 2022

procontra: Arbeitsminister Hubertus Heil warnte jüngst, man dürfe die Rente nicht gegen die Rüstung ausspielen –die erhöhten Ausgaben für die Bundeswehr dürften sich nicht negativ auf die Rente auswirken. Besteht diese Gefahr überhaupt?

Florian Toncar: Ich sehe diese Gefahr nicht, das sind zwei vollkommen verschiedene Themen. Wir werden dafür sorgen, dass die Bundeswehr bündnis- und verteidigungsfähig ist. Zugleich werden wir die Rente auf eine neue finanzielle Grundlage stellen und auch eine neue Balance finden müssen hinsichtlich der Frage, was das Umlagesystem und was die Eigenvorsorge leisten können.

procontra: Trotzdem finden sich die zehn Milliarden Euro für die Aktienrente nicht im aktuellen Haushaltsentwurf.

Toncar: Die Aktienrente ist im Koalitionsvertrag fest und verbindlich vereinbart – und dabei bleibt es auch. Derzeit wird intensiv an dem Thema gearbeitet, es ist aber ein komplexeres Gesetzgebungsvorhaben. Den Aufbau eines Fonds, der ja auch mit der gesetzlichen Rentenversicherung zusammenarbeiten, der gemanagt werden muss – das schafft man nicht in 100 Tagen. Sobald es dann auch das entsprechende Gesetz gibt, kann auch Geld in den Fonds fließen. Jetzt Geld in den Haushalt einzustellen, das nicht abgerufen werden kann, weil es den Fonds noch nicht gibt, wäre ohne jeden Nutzen.

procontra: Wann kann denn dann realistisch mit dem Start gerechnet werden?

Toncar: Der Start soll so schnell wie möglich erfolgen – die Gesetzgebung muss in diesem Jahr angegangen und – wenn es nach mir geht – auch abgeschlossen werden. Ich kann versichern: Trotz der anderweitigen umfangreichen Herausforderungen, sei es der Krieg in der Ukraine, die Pandemie, der Klimawandel oder die öffentlichen Finanzen, arbeiten wir bereits intensiv an der Bildung des Fonds.

procontra: Auch über die Höhe der Finanzmittel dürfte zu sprechen sein – zehn Milliarden Euro sind ja nur ein erster, symbolischer Schritt.

Toncar: Richtig, zehn Milliarden Euro können nur ein Einstieg sein, das ist unstrittig und im Koalitionsvertrag auch so festgehalten. Über die genauen Schritte wird aber noch intern diskutiert. Aus meiner Sicht muss man aber wesentlich größer als die besagten zehn Milliarden Euro denken – schließlich wollen wir hier ein Volumen ansammeln, das groß genug ist, Erträge zu erwirtschaften, mit denen die Beitragszahler entlastet werden können.

procontra: Hartmut Walz, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Ludwigsburg, hatte auf der Wissenschaftstagung des Bunds der Versicherten den Vorschlag unterbreitet, ein Sondervermögen für die Aktienrente in Höhe von einer Billion Euro zu bilden. Ein Vorschlag, den Sie unterstützen würden?

Toncar: Die Bildung eines Sondervermögens ist auf jeden Fall ein möglicher Durchführungsweg. Entscheidend vor allem ist aber, dass das Geld vor dem kurzfristigen politischen Zugriff geschützt ist. Es soll ausschließlich für die Alterssicherung zur Verfügung stehen und nicht für andere Vorhaben genutzt werden.
Beim hier vorgeschlagenen Volumen stellt sich natürlich die Frage, über welchen Zeitraum dieser Betrag aufgenommen wird. Sehr langfristig wären eine Billion Euro vielleicht denkbar, kurzfristig ist das nicht realistisch.

procontra: Die Aktienrente soll ja in erster Linie mittel- bis langfristig wirken – umso wichtiger ist es für die Menschen jetzt, privat vorsorgen zu können. Hier hat sich Ihre Regierung vorgenommen, die Altersvorsorge grundlegend zu reformieren. Was bedeutet das konkret?

Toncar: Vorneweg: Natürlich ist der Effekt umso sichtbarer, je größer der Fonds ist. Aber: Die Aktienrente kann auch schon kurzfristig Positives bewirken. Insbesondere dann, wenn wir es schaffen, den Fonds wie geplant auch für individuelle Beiträge zu öffnen, ist das für jedermanns Altersvorsorge auch kurzfristig eine echte Option. Nichtsdestotrotz wollen wir natürlich auch die 3. Säule stärken, insbesondere durch eine Reform der Riester-Rente. Diese stammt aus einer Welt mit einem wesentlich höheren Zins als heute und ist dementsprechend nicht mehr zeitgemäß, da sie zu renditeschwach, aber auch komplex und kostenintensiv ist. Darum müssen wir nicht nur überlegen, wie man die Produkte stärker standardisieren, sondern auch wie man sie ertragreicher machen kann. Zu klären gilt es darum unter anderem, welche Beitragsgarantien wir von den Produktherstellern noch verlangen sollten und ob der Verrentungszwang beibehalten werden muss. Diese Debatte wird – wie andere Maßnahmen, beispielsweise die Erhöhung des Sparerpauschbetrages – nun zügig angegangen. Das ist angesichts des Niedrigzinsumfelds und der demografischen Entwicklung auch bitter nötig.

procontra: Und das ist weiterhin finanzierbar? An der Schuldenbremse hält ihre Partei ja fest.

Toncar: Das ist finanziell machbar. Auch wenn mehr abgeschlossene Verträge natürlich mehr Fördermittel bedeuten, ist die Stärkung der privaten Altersvorsorge für die öffentliche Hand ein positives Geschäft. Wenn Menschen privat Altersvorsorge betreiben, entlastet das den Staat später. Somit ist es in Wahrheit eine Investition in die Zukunft, wenn wir die Altersvorsorge attraktiv gestalten und fördern.

procontra: Grundlegend stellt sich ja die Frage, wie man mehr Menschen zur privaten Altersvorsorge animieren kann. Auch Walter Riester hatte ursprünglich ein Obligatorium geplant. Ist das ein Gedanke, mit dem Sie sich anfreunden könnten?

Toncar: Obligatorische Regelungen in der Altersvorsorge sind dem liberalen Denken nicht automatisch fremd, aber wesentlich wichtiger ist meiner Meinung nach, dass wir ertragreichere Produkte bekommen. Die Riester-Rente ist heute schlicht nicht mehr attraktiv genug für viele Menschen – das zeigen die Vertragszahlen. Ein Obligatorium würde hieran nur auf dem Papier etwas ändern. Mit renditestärkeren Produkten bräuchte man eventuell gar keine Pflicht, die Leute würden es von sich aus nachfragen.

procontra: Auch die Große Koalition hatte sich die Reform der Riesterrente ja bereits in den Koalitionsvertrag geschrieben – passiert ist jedoch nichts. Wie wollen Sie verhindern, dass es in der Ampel nicht genauso läuft?

Toncar: Natürlich kann man in der Politik immer auf die Gefahr des Scheiterns blicken. Ich glaube aber, dass alle drei Koalitionsparteien verstanden haben, dass es bei der Riester-Reform nicht nur um Finanzmarkt-, sondern präventive, zukunftsgewandte Sozialpolitik geht – das sollte uns doch dazu animieren, eine gemeinsame Lösung zu finden.

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