Elementarpflicht: „Zu hohe Form des Zwangs“?

Nach den verheerenden Schäden durch die Unwetterkatastrophe im Sommer dieses Jahres reißt die Debatte um die mögliche Einführung einer Elementarpflichtversicherung nicht ab. Axa-Vorstand Nils Reich spricht sich vehement gegen eine solche Pflicht aus.

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13:12 Uhr | 06. Dezember | 2021

Das Hochwasser im Sommer dieses Jahres gilt als die bisher verheerendste Naturkatastrophe in Deutschland. Der GDV geht aktuell von 250.000 versicherten Schäden und einem Schadenaufwand von mindestens sieben Milliarden Euro aus. Mehr als 180 Menschen haben ihr Leben verloren. Über 16.000 Mitarbeiter von Versicherungsunternehmen sowie weitere 2.500 externe Kräfte wie Gutachter waren vor dem Hintergrund der Katastrophe im Einsatz. Und eines war schnell klar: Deutschland muss viel mehr für präventive Maßnahmen tun.

Der Versicherer Axa habe bisher knapp 40 Prozent aller Schäden reguliert, sagt Sachversicherungsvorstand Nils Reich auf einer Online-Veranstaltung des Versicherers am Montag und resümiert: „Ein Ereignis wie Bernd haben wir so noch nicht erlebt.“ Bisher seien auch nach wie vor nur knapp die Hälfte der Gebäude gegen Elementargefahren versichert, erklärt Christina Feldges, Axa-Expertin für Sach- und Elementarversicherung. Vielen Kunden sei immer noch nicht bewusst, dass die Gefahr einer Überschwemmung durch Starkregen auch ohne direkte Nähe zu einem Fluss gegeben sei. Allerdings sei die Nachfrage nach Elementarschutz seit den Ereignissen des Sommers deutlich gestiegen. Der GDV hatte zuletzt berichtet, dass etwa 400.000 Policen wurden in den vergangenen Monaten branchenweit neu abgeschlossen wurden. Auch die Axa hatte auf procontra-Nachfrage von einer verstärkten Nachfrage berichtet – diese fokussiere sich aber auf die vom Unwetter betroffenen Gebiete.

„Zu starker Eingriff in die Entscheidungsfreiheit“

Doch wie lassen sich mehr Hausbesitzer für die Police gewinnen? Eine Pflichtversicherung sieht Feldges kritisch. „Das ist ein zu starker Eingriff in die persönliche Entscheidungsfreiheit.“ Eine solche generelle Absicherung sei nur dann sinnvoll, wenn Dritte zu Schaden kommen können. Wichtiger sei Prävention. Zum einen, damit die Schadenanzahl nicht zunehmen, aber auch damit die Schadenhöhe bezahlbar bleibe. Axa-Sachversicherungsvorstand Reich sieht das genauso. Eine Elementarpflicht sei eine „zu hohe Form des Zwangs“. Er befürwortet eine standardmäßig enthaltende Elementardeckung, die nur durch die explizite Abwahl ausgeschlossen werden könnte. Immerhin seien, so Reich, fast alle Häuser versicherbar und nur ein sehr kleiner Prozentteil nicht.

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Erst kürzlich hatte die Debatte um die Einführung einer Elementarpflichtversicherung für Hausbesitzer wieder an Fahrt aufgenommen: Die Justizminister der Bundesländer haben sich vor wenigen Wochen darauf verständigt, dass die neu gegründete Arbeitsgruppe „Pflichtversicherung für Elementarschäden“ unter der Federführung der Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz die 2017 beendete Diskussion wieder aufnehmen solle. Zudem wird wohl auch der Vorschlag geprüft, zukünftig Wohngebäudeversicherungen nur noch mit Elementarabdeckung zu verkaufen und bestehende Verträge entsprechend umzustellen.

Während in Bayern gerade einmal knapp die Hälfte der Gebäude gegen Elementarschäden versichert sind, liegt die Quote in Baden-Württemberg bei über 90 Prozent, sagt Sven Plöger, ARD-Wetterexperte und Meteorologe auf der Axa-Veranstaltung. Der Grund für die hohe Quote liege aus seiner Sicht eben durchaus an der bis 1994 dort geltenden Elementarpflichtversicherung, die viele Menschen auch später nicht gekündigt haben.

Aufklärung als Mittel der Prävention

Doch wie lassen sich Schäden bei einem solchen Unwettereignis wie im Sommer dieses Jahres, wenn schon nicht verhindern, wenigstens minimieren? Könnten genauere Wettervorhersagen oder frühere Warnungen helfen? „Wetternachhersage ist leichter als Wettervorhersage“, sagt Plöger. Auch wenn man hinterher immer schlauer ist, liege in der Aufklärung der Dreh- und Angelpunkt.

Demnach wüssten viele Hausbesitzer nicht einmal, dass sie im Keller keine wichtigen Dokumente lagern sollten. Plögers Kollege, der Meterologe Joaquim Pinto vom Karlsruher Institut für Technologie, erklärt: „In Japan weiß jedes Kind, wie es sich bei einem Erdbeben verhalten soll; hier müsste jeder wissen, dass man bei Hochwasser nicht in Keller gehen darf.“ Leider sei das eben keine Selbstverständlichkeit, sagt auch Axa-Vorstand Reich. Dramatische Szenarien und erschütternde Schicksale hätten allein durch dieses Wissen verhindert werden können.

In Deutschland sei man lange Zeit eine „unglaubliche Sicherheit“ gewohnt gewesen, so Wetterexperte Plöger, aber diese Zeit sei nun infolge des Klimawandels vorbei. Zumal: Nicht nur Überschwemmungen werden hierzulande zu nehmen, sondern auch Dürre, Waldsterben und Wasserknappheit. Vor diesem Hintergrund mahnt Plöger, das Thema Prävention viel stärker ins Bewusstsein zu rücken. „Es gehört für mich schon in die Schulen.“ Es bleibt abzuwarten, ob die neue Ministerin für Bildung, FDP-Politikerin Bettina Stark-Watzinger, die nach eigener Aussage eine „Bildungsrevolution“ anstrebt, auch dieses Thema auf die Agenda setzen wird.

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