„Wir wollen die bAV zum Normalfall machen“

Riester entschlacken, höhere Aktienquoten in privater und betrieblicher Altersvorsorge und Schweden als Vorbild. Johannes Vogel, stellvertretender Bundesvorsitzender der FDP, über die Pläne seiner Partei zur Altersvorsorge.

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09:08 Uhr | 12. August | 2021

procontra: Nach der Wahl wird auch über die Zukunft der Riester-Rente entschieden. Wie würden Sie entscheiden: Abschaffen oder reformieren? 

Johannes Vogel: Wir müssen die Riester-Rente besser und unkomplizierter machen. Generell brauchen wir viel mehr kapitalgedeckte Vorsorge. Ein Beispiel, was wir konkret verbessern könnten, um die Attraktivität der Riester-Rente zu steigern: Zukünftig sollten auch Selbstständige die Möglichkeit haben, die Riester-Förderung zu nutzen, alles andere wäre ungerecht. Durch eine Öffnung erleichtern wir so auch den immer häufiger gewünschten Wechsel zwischen Anstellung und Selbstständigkeit – denn heute kann man teils nicht mal seine Altersvorsorge weiterführen beziehungsweise seine Förderung mitnehmen. Das ist doch völlig aus der Zeit gefallen.

procontra: Wo besteht weiterer Verbesserungsbedarf?  

Vogel: Wir wollen in allen Durchführungswegen der betrieblichen und privaten Altersvorsorge höhere Aktienquoten erlauben und die Regeln entsprechend anpassen. Zusätzlich wollen wir als neue geförderte Vorsorgeform ein Altersvorsorge-Depot schaffen, das das Beste aus der Zulagen-Förderung der Riester-Rente, der steuerlich geförderten Rürup-Rente und dem amerikanischen 401k-System vereint.

Unabhängig davon brauchen wir auch in der ersten Säule mehr kapitalgedeckte Vorsorge. Unser Vorschlag dafür: Eine Gesetzliche Aktienrente nach schwedischem Vorbild zu schaffen.

procontra: Wie würde Ihre Partei die Menschen dazu motivieren, stärker eine private und betriebliche Altersversorgung zu nutzen?

Vogel: Zum einen muss man immer wieder nachdrücklich darauf hinweisen, dass es eigentlich nicht genug Vorsorge geben kann. Zum anderen wollen wir die betriebliche Altersvorsorge stärken und die gesetzlichen Regelungen attraktiver machen. Die Möglichkeit zu breiteren Anlageformen und insbesondere höheren Aktienquoten haben heute nur tarifgebundene Unternehmen.

Wir wollen allen Unternehmen die Möglichkeit einer „reinen Beitragszusage“ mit einem höheren Aktienanteil und des automatischen Einbezugs ganzer Belegschaften geben, verbunden mit einer „Opt-Out“-Möglichkeit für einzelne Beschäftigte. Zudem muss die Doppelverbeitragung in der gesetzlichen Kranken- sowie Pflegeversicherung für alle Wege betrieblicher und privater Vorsorge beendet werden, denn sie untergräbt das Vertrauen in die Verlässlichkeit der Politik.

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procontra: Wie bewerten sie die 100-%-Beitragsgarantie in den Bereichen der geförderten privaten Altersvorsorge und der betrieblichen Altersversorgung? 

Vogel: Wir setzen uns dafür ein, dass zukünftig im Rahmen aller Durchführungswege der geförderten Altersvorsorge auch Produkte ohne Beitragsgarantien zugelassen werden. Durch eine Liberalisierung der Anlagevorschriften könnten höhere potentiell erreichbare Renditen ermöglicht werden. Dabei sollen Sparerinnen und Sparer aber selbst entscheiden können, welches Chance-Risiko-Verhältnis sie mit Blick auf Renditechancen, Anlageformen und Anlagehorizont bzw. Lebensalter einzugehen bereit sind. So wird die Möglichkeit eröffnet, über langfristige Beteiligungen am Kapitalmarkt an der Produktivität erfolgreicher und global operierender Unternehmen teilzuhaben. Das stärkt auch die bisher leider unterentwickelte Aktienkultur in Deutschland. Auch bei der betrieblichen Altersvorsorge sollten höhere Aktienanteile möglich sein.

procontra: Würde sich Ihre Partei für ein Obligatorium in der betrieblichen Altersversorgung einsetzen?

Vogel: Nein, aber wir wollen die betriebliche Altersversorgung zum Normalfall machen. Dafür sollen prinzipiell in allen Unternehmen ganze Belegschaften automatisch einbezogen werden können. Jede und jeder einzelne Beschäftigte, der diese Versorgung nicht wünscht, kann sich durch eine Opt-Out-Möglichkeit dagegen entscheiden.

procontra: Würde Sie die Einführung einer staatlich organisierten und kapitalgedeckten Altersvorsorge als vierte Säule anstreben?

Vogel: Ja, aber nicht als vierte Säule. Wir wollen allen Menschen ermöglichen, vom weltweiten Wachstum profitieren zu können. Unser Vorschlag einer Gesetzlichen Aktienrente sieht vor, dass ein Teil des Beitrages zur ersten Säule in einen öffentlichen Non-Profit-Fonds investiert wird, der im öffentlichen Auftrag von Profis verwaltet wird. Dadurch würden alle Menschen profitieren, wir würden zeitgleich die Rentenfinanzen stabilisieren und mittel- und langfristig ein steigendes Rentenniveau erhalten. Schweden macht uns das seit Jahren erfolgreich vor.

procontra: Was schwebt Ihnen konkret vor?

Vogel: Konkret schwebt uns vor, dass jede und jeder Versicherte zum Beispiel zwei Prozent des eigenen Bruttoeinkommens verpflichtend in die Gesetzliche Aktienrente einzahlt – wie in Deutschland üblich, aufgeteilt in Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeitrag. Der Beitragsanteil zur umlagefinanzierten gesetzlichen Rente wird um exakt denselben Prozentsatz gesenkt. Die gesetzliche und verpflichtende erste Säule des Rentensystems besteht damit künftig aus zwei Elementen. Derselbe Anteil sozialversicherungspflichtiger Entgelte wird wie bisher für die Altersvorsorge aufgewendet.

procontra: Was würde sich dadurch verändern?

Vogel: Neu wäre, dass neben dem deutlich größeren Anteil, der weiter in die Umlage fließt, ein kleiner Anteil in eine langfristige, chancenorientierte und kapitalgedeckte Altersvorsorge – die Gesetzliche Aktienrente – fließt. Gerade Menschen mit geringen Einkommen würden so erstmals von den Chancen der globalen Aktienmärkte profitieren und zu Unternehmensteilhaberinnen und -teilhabern werden. Gleichzeitig wird so auch die erste Säule der Alterssicherung langfristig abgesichert und durch die Teilkapitaldeckung gegen demographische Herausforderungen gefestigt.

procontra: Sollten Selbstständige und Freiberufler dazu verpflichtet werden, in die gesetzliche Rentenversicherung einzuzahlen?

Vogel: Nein. Selbstständige brauchen bei der Altersvorsorge ganz klar maximale Wahlfreiheit. Unternehmerinnen und Unternehmen treffen jeden Tag so viele finanzielle Entscheidungen, da sollen sie bitte auch selbst entscheiden können, wie sie für das Alter vorsorgen.

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