Interview mit Monika Behrens, Geschäftsführerin von WTW-Versicherungsmakler

„Das Denken in Sparten ist nicht mehr zeitgemäß“

Die Versicherungsberatung von Unternehmen steht vor einem tiefgreifenden Wandel: Die Risiken werden komplexer, die Versicherungssituation wird unübersichtlicher. Über welche Themen Makler noch Kunden gewinnen können und wie eine gute Beratung aussehen muss, sagt Monika Behrens, neue Geschäftsführerin von Willis Towers Watson Versicherungsmakler.

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09:10 Uhr | 19. Oktober | 2021
Monika Behrens, Chefin von WTW Versicherungsmakler

"Für die Kunden wird die Versicherungssituation immer herausfordernder, weil die Risiken komplexer werden. Es kommen Risiken dazu, die wir vor fünf Jahren nur am Horizont gesehen haben, Stichwort: Cyber. Die Situation wird unübersichtlicher", warnt Monika Behrens, Chefin von WTW Versicherungsmakler | Quelle: WTW Versicherungsmakler

procontra: Rückblickend auf die vergangenen drei bis fünf Jahre: Was hat den Markt für Gewerbeberatung beziehungsweise -absicherung besonders geprägt?

Monika Behrens: Die Versicherer haben zuletzt nicht mehr die Gewinne geschrieben, die sie selbst und ihre Anleger erwartet haben. Ihr Risikoappetit ist dadurch unterschiedlich stark ausgeprägt. Deswegen müssen Unternehmen wissen, welche Risiken ein Versicherer noch gerne sieht und welche er im schlimmsten Fall nicht mehr versichert. Für die Kunden wird die Versicherungssituation immer herausfordernder, weil die Risiken komplexer werden. Es kommen Risiken dazu, die wir vor fünf Jahren nur am Horizont gesehen haben, Stichwort: Cyber. Die Situation wird unübersichtlicher.

procontra: Für welche Risiken ist es derzeit besonders herausfordernd zeichnungsbereite Versicherer zu finden?

Behrens: Schwierig ist es insbesondere in der Sachversicherung, bei Cyber-Policen und der D&O-Deckung. Es ist uns aber bisher gelungen, unseren Kunden adäquaten Versicherungsschutz zu besorgen – wenn auch nicht immer zu den gewünschten Konditionen.

procontra: Und welche Sparten sehen Assekuranzen derzeit „gerne“?

Behrens: Zum Beispiel die KfZ-Sparte, hier haben es die Versicherer in den vergangenen Jahren geschafft, ihre Schadenkostenquote und ihre Effizienz im Prozess zu steigern. Im Bereich der Unfall-Versicherung ist das ähnlich. Es kommen derzeit auch wieder Themen auf, die jahrelang brach lagen, wie internationale Versicherungsprogramme für Kfz und Unfall, die Versicherer aufgrund ihrer Komplexität lange nicht angefasst haben. Bei großen Maklern gehört das Thema mittlerweile wieder zum täglichen Geschäft.

procontra: Für die Arbeit in welchen Regionen ist es derzeit schwierig Versicherungsschutz zu bekommen?

Behrens: Natürlich immer dort, wo politische Risiken unberechenbar sind, aktuell etwa in Myanmar. Die USA sind aufgrund der hohen Klagebereitschaft der Amerikaner einer der risikoträchtigsten Märkte weltweit. Sie stellen Unternehmen immer wieder vor Herausforderungen – derzeit besonders im Bereich der Employment Practices Liability, die wegen coronabedingter Entlassungen sehr schadenträchtig ist. Unter dieser Deckung wird Versicherungsschutz für Haftpflichtansprüche aus Arbeitsverhältnissen gewährt, wenn ein Arbeitnehmer zum Beispiel wegen ungerechtfertigter Kündigung oder sexueller Belästigung am Arbeitsplatz gegen seinen Arbeitgeber vorgeht. Eine solche Deckung ist auch in manchen Märkten empfehlenswert, von denen man dies zunächst nicht erwartet, wie zum Beispiel in Pakistan.

procontra: Wie können Berater mit diesen globalen Entwicklungen Schritt halten?

Behrens: Wir arbeiten weltweit mit 45.000 Kolleginnen und Kollegen. Unsere Experten sind mit den Versicherern und in den weltweiten Märkten stark vernetzt und wissen, wo sich das Risiko eines Kunden wie am geschicktesten unterbringen lässt. Wenn die Märkte in Europa nicht mehr aufnahmebereit sind, können wir dadurch auch Märkte in Asien oder im Mittleren Osten dazu nehmen. Und wir sind intern stark vernetzt und können entsprechend schnell reagieren, wenn ein Versicherer plötzlich seine Zeichnungsrichtlinien ändert.

procontra: Wie muss eine gute Versicherungsberatung im Gewerbekundensegment strukturiert sein?

Behrens: Bei Neukunden erstellen wir zunächst ein Risikoregister beziehungsweise -inventar. Dafür veranstalten wir Workshops, an denen – je nach Unternehmensgröße - Mitarbeitende aus ganz unterschiedlichen Abteilungen des Kunden teilnehmen: Rechtsabteilung, Einkauf, Verkauf oder Produktentwicklung. Gemeinsam mit den Kunden spielen wir die Szenarien durch, die dem Unternehmen am meisten schaden könnten. Dafür beschäftigen wir sehr viele Mathematiker. Sie haben Programme und Methoden entwickelt, durch die wir vorhersagen können, was passiert, wenn bestimmte Risiken eintreten. Im Grunde geht es immer um ein Worst-Case-Szenario.

procontra: Wie läuft der Beratungsprozess bei Bestandskunden ab?

Behrens: Wir treffen uns in Abhängigkeit von der Größe und dem Bedarf des Kunden zwei bis viermal im Jahr zu bestimmten Themenblöcken. Zunächst stimmen wir die Strategie ab: Was möchte der Kunde im neuen Jahr erreichen? Wie will er im Renewal vorgehen? Über welches Budget verfügt er? Viele Kunden orientieren sich noch an dem, was sie in der Vergangenheit an Versicherungsschutz eingekauft haben und betrachten die einzelnen Versicherungssparten sehr isoliert. Das ist aber nicht mehr zeitgemäß.

procontra: Wie gehen Sie stattdessen vor?

Behrens: Wir haben ein Tool entwickelt, mit dem wir uns das Gesamtportfolio eines Kunden ansehen können. Dahinter stecken dutzende Datenbanken und Markteinschätzungen. Dann schauen wir, wie sich das Budget für den Versicherungsschutz auf alle Sparten so aufteilen lässt, dass das Risiko des Unternehmens insgesamt am kosteneffizientesten abgesichert ist.  Wenn ich zum Beispiel 10.000 Euro der bisherigen Versicherungsprämie in Transport, ein Bereich mit einer hohen Risikofrequenz aber geringerem Schadenpotential, in einen Hochrisikobereich wie Cyber oder Haftpflicht investiere, sinkt oft das Risiko des Unternehmens insgesamt, obwohl die Gesamtprämie des Unternehmens die gleiche bleibt. Es kommt also auf eine kluge Kombination der Risiken und Deckungen an.

procontra: Welche Instrumente nutzen Sie, um die Beratung effizienter zu machen?

Behrens: Für die kleineren Unternehmen haben wir eine einfach aufgebaute digitale Kundenakte, über die der Kunde jederzeit auf seine Dokumente und Rechnungen zugreifen kann. Große Unternehmen wollen eher wissen, wie sie weltweit versichert sind. Dafür haben wir in eine spezielle Technologie investiert, die Kunden den gewünschten Überblick gibt. Mithilfe verschiedener Tools unterstützen wir auch beim Prozess der Risikoermittlung: Unsere Analytical Tools verfügen zum Beispiel über umfangreiche branchenspezifische Schadendaten, so dass wir daraus zukünftige Schadenereignisse vorhersagen können.

procontra: Derzeit stellt sich jede Branche in Sachen ESG-Kriterien neu auf. Wie beeinflusst das Ihre Arbeit?

Behrens: Kunden aus der Kohleindustrie haben mittlerweile Schwierigkeiten, noch einen Versicherungsschutz zu bekommen. Das betrifft bereits auch zum Teil die Zulieferer der Kohleindustrie und wird sich nach unserer Einschätzung zukünftig noch stärker auf die Versicherbarkeit bestimmter Branchen auswirken. Auch in diesem Bereich ist es wichtig, dass der Kunde weiß, wie ihn dieser Ausschluss tangieren könnte und welche konkreten Maßnahmen er ergreifen kann, um weiterhin versicherbar zu sein. Man muss vernetzter denken.

procontra: Welche Branche braucht die ausführlichste Beratung in Fragen des Versicherungsschutzes?

Behrens: Jede Branche hat ihre eigenen Tücken. Momentan wird die Fleischindustrie von den Sachversicherern aufgrund der schlechten Schadenerfahrung in der Vergangenheit nicht gerne genommen. Da wird es beratungsintensiv. Bei IT-Dienstleistern ist es die Errors and Omission-Deckung, die greift, wenn sie falsche Programme auf die Kundenrechner spielen. Das ist ähnlich komplex. Aufgrund der derzeitigen Versicherungsmarktlage fällt mir gerade keine Branche ein, bei der ich sagen würde: „Machen Sie sich keine Sorgen, es ist gerade ganz einfach bei Ihnen.“

procontra: Wie unterscheiden sich die Kundenbedürfnisse in Abhängigkeit von der Unternehmensgröße? Worauf sollten Makler achten?

Behrens: In den kleineren und mittleren Unternehmen kümmert sich oft jemand nebenbei um den Versicherungsschutz. Diese Kunden brauchen einen Berater, der sie an die Hand nimmt, ihnen das Risiko aufzeigt und die Themen so abwickelt, dass sich der administrative Aufwand in Grenzen hält. Das sieht bei Großunternehmen ganz anders aus. Dort gibt es oft hervorragend ausgebildete Experten und wir gehen viel stärker in Detail-Diskussionen. DAX-Unternehmen brauchen meist nur bei Nischenthemen Unterstützung, wie Mergers and Acquisitions, also bei Unternehmenskäufen, -verkäufen oder -zusammenführungen. Das machen sie eben nicht jeden Tag.

procontra: Vielen Maklern fällt es schwer im Gewerbebereich überhaupt Fuß zu fassen. Über welche Themen kann das derzeit besonders gut gelingen? Worauf reagieren Firmen derzeit besonders sensibel?

Behrens: Jahrelang konnten Makler ihren Kunden positive Nachrichten überbringen: Die Prämien gingen nach unten, viele Risiken wurden abgedeckt. Diese Zeiten sind vorbei. Nahezu alle Kunden sind derzeit mit Prämienerhöhungen konfrontiert – Makler müssen für sie die richtige Balance zwischen Kosten und Risiko finden und sie gleichzeitig davon überzeugen, auch selbst präventiv etwas gegen die Unternehmensrisiken zu unternehmen. Denn Firmen bekommen überhaupt keinen Cyber-Versicherungsschutz mehr, wenn sie kein sicheres IT-System haben. Neue Kunden gewinnen wir derzeit oft über Warranty & Indemnity-Policen, die die Risiken einer Unternehmenstransaktion schmälern. Sie ist sinnvoll sowohl für Unternehmenskäufer als auch für -verkäufer. Diese Versicherung gibt es zwar schon länger, sie war aber in der Vergangenheit eher eine ‚Nice-to-Have‘-Deckung. Momentan wird sie jedoch oft als Voraussetzung für einen Deal verpflichtend gefordert. Und wir gewinnen neue Kunden über das Thema Nachhaltigkeit: Bei Unternehmen, die dem ersten Anschein nach nicht nachhaltig arbeiten, lassen wir durch eine externe Beratungsgesellschaft die langfristige Nachhaltigkeitsstrategie prüfen. Wenn diese überzeugt, können wir anhand von klar definierten Kriterien Versicherer überzeugen, solche Unternehmen doch abzudecken.

procontra: Lassen Sie uns zum Abschluss einen Blick in die Zukunft werfen: Welche Themen werden den Gewerbemarkt künftig prägen und wie könnten Makler sie nutzen?

Behrens: Makler müssen Kunden viel mehr mit ingenieurtechnischer Unterstützung begleiten und zeigen, wie man Schäden verhindert. Kunden ziehen uns mittlerweile hinzu, bevor sie einen neuen Standort eröffnen: Besteht dort das Risiko von Naturkatastrophen? Gibt es politische Risiken? Unternehmen müssen viel stärker in die Risikoprävention gehen.