Doppelverbeitragung: Kompromiss mit vielen Baustellen
Viele Betriebsrentner zahlen vollen gesetzlichen Kranken- und Pflegebeitrag auf ihre Rente, obwohl sie schon in der Berufsphase SV-Beitrag gezahlt hatten. Und nach Beendigung der Beschäftigungsphase müssen Betriebsrentner auch noch den Arbeitgeberanteil an die Kranken- und Pflegekasse entrichten.
Diesen unhaltbaren Zustand der Doppelverbeitragung, 2004 von Rot-Grün wegen der klammen Sozialkassen eingeführt, wollte die Politik eigentlich beseitigen (procontra berichtete). Bis Ende 2003 wurden gesetzlich Versicherte nur mit dem halben Beitragssatz herangezogen. Doch herausgekommen ist jetzt nur ein schlechter Kompromiss, der vielen Betroffenen nicht hilft (procontra berichtete). Zwischenstand:
Die bisherige Freigrenze bei der gesetzlichen Krankenversicherung für kleine Betriebsrenten bis 155,75 Euro pro Monat (2020: 159,25 Euro) wird in einen Freibetrag umgewandelt, der bis zu dieser Höhe für alle Betriebsrenten gilt.
Für die gesetzliche Pflegeversicherung gilt dieser Freibetrag nicht – da bleibt es bei der bisherigen Belastung mit dem vollen Beitragssatz.
Der steuerfreie Förderbetrag für arbeitgeberfinanzierte Betriebsrenten an Geringverdiener bis 2.200 Euro Bruttoeinkommen wird verdoppelt. Zahlt der Arbeitgeber dort mindestens 240 Euro pro Jahr selbst in die bAV (maximal 480 Euro), kann er 30 Prozent von der Lohnsteuer behalten, also mindestens 72 Euro (höchstens 144 Euro) im Kalenderjahr. Dieser Förderbetrag wird nun auf bis zu 288 Euro erhöht.
Durchweg kritische Töne in der Expertenanhörung
Entsprechend kritisch fielen bei der Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestages am Montag die Stellungnahmen der Betroffenen aus. Die Einführung eines Freibetrages sei keine systematische Lösung des Problems, sondern lässt grundlegende Schwachstellen unberührt, erklärte der Verein der Direktversicherungsgeschädigten (DVG) in der Expertenanhörung über den Gesetzentwurf zur Einführung eines Freibetrages in der gesetzlichen Krankenversicherung zur Förderung der betrieblichen Altersvorsorge.
Der DVG-Verein monierte in seiner Stellungnahme, mit der Reform würden in keiner Weise die Besonderheiten der Altersversorgung in Form der Direktversicherung korrigiert, insbesondere jener Verträge, die vor dem 31. Dezember 2003 abgeschlossen wurden. Der Verein fordert eine Entschädigungsregelung. So sollte eine Rückabwicklung der Verträge vom 1. Januar 2004 bis Ende 2019 ermöglicht werden. Gefordert wird auch eine Reduzierung der Beiträge auf den halben Satz.
Direktversicherungsgeschädigte beklagen Vertrauensbruch
Für alle vor 2004 abgeschlossenen Direktversicherungsverträge müsse die Beitragsfreiheit gelten. Der Aufteilungszeitraum für die Kapitalauszahlung sollte zudem von 120 auf 240 Monate erhöht werden, da ansonsten deutlich höhere Beiträge zu zahlen seien, argumentierte der DVG. Der Freibetrag sollte auch für die Pflegeversicherung gelten, wird der Verein in einer Mitteilung des Bundestages zitiert.
Auch der Sozialverband VdK und die Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung (Aba) werteten die vollen Beiträge auf Betriebsrenten als „zentralen Fehlanreiz". Der Gesetzentwurf sei unbefriedigend und unzureichend,“ hatte Aba-Vorstandschef Georg Thurnes bereits am vergangenen Freitag vor Fachjournalisten in Berlin erklärt.
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Unverständnis für fehlenden Freibetrag in Pflegeversicherung
Auch in Zukunft werde es viele Fälle einer zweimaligen Vollverbeitragung geben. Hunderttausende Betriebsrentner werden zweimal den vollen Beitrag zu Kranken- und Pflegeversicherung zahlen müssen. Außerdem bleibt es für alle Betriebsrentner bei der zweimaligen, vollen Belastung mit Beiträgen zur gesetzlichen Pflegeversicherung, die im Gesetzentwurf nicht in den Freibetrag mit einbezogen wird, kritisierte Thurnes.
In der Aba-Stellungnahme wird die Kritik an Systembrüchen und aufgeweichtem Vertrauensschutz noch deutlicher. „Im Vergleich zum Jahr 2003 bleibt immer noch eine Zusatzbelastung in Höhe von 1,8 Milliarden Euro für die Betriebsrentner“, so Thurnes, der im Hauptberuf Aktuar beim bAV-Berater Aon ist.
Eile des Gesetzgebers bringt Probleme bei Umsetzung
Das Gesetz soll bereits zum 1. Januar 2020 in Kraft treten und ist im Bundesrat nicht zustimmungspflichtig. „Es sind keine großen Änderungen mehr zu erwarten“, sagte Aba-Geschäftsführer Klaus Stiefermann auf Nachfrage. „Besser wäre es gewesen, die Freigrenze generell zu erhöhen oder zur halben Beitragsbelastung zurückzukehren“, ergänzte Thurnes.
Sowohl die Krankenkassen als auch die Zahlstellen (alle Arbeitgeber sowie externe Versorgungsträger) müssen nun kurzfristig ihre Bestandsführungssysteme anpassen. Mit der Einführung neuer Programmabläufe ist frühestens zum 1. Juli 2020 zu rechnen, schätzt die Aba und fürchtet zuvor massenhaft falsche Beitragsbescheide. Die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) hält eine Umsetzung zum 1. Januar 2020 „praktisch nicht für realisierbar“. Die VBL zahlt aktuell 1,4 Millionen Betriebsrenten aus.
Der GKV-Spitzenverband warnte in seiner Stellungnahme ebenfalls vor Umsetzungsproblemen, da die Regelungen schon 2020 in Kraft treten sollen. Wegen der getrennten Beitragsberechnung für die Kranken- und Pflegeversicherung sei eine längere Vorlaufzeit nötig, zumindest aber ein automatisiertes Erstattungsverfahren.
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