EuGH: Staat haftet im Zweifel für Pensionskassenzusage

Eine Pensionskassenrente fällt weg, wenn der Arbeitgeber insolvent wird. Der Pensionssicherungsverein ist nicht zuständig, im Zweifel haftet der Staat, entschied der EuGH. Um das zu vermeiden, will die Bundesregierung das bestehende System ändern.

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08:01 Uhr | 09. Januar | 2020
Der Titel klingt harmlos, doch der Inhalt des Entwurfs ist brisant: Pensionskassen sollen künftig PSV-Beitrag zahlen, was die bAV weiter verteuert.

Der Titel klingt harmlos, doch der Inhalt des Entwurfs ist brisant: Pensionskassen sollen künftig PSV-Beitrag zahlen, was die bAV weiter verteuert (im Bild der EuGH mit Sitz in Luxemburg). Bild: fuchs-photography

Bei Insolvenzen von Arbeitgebern, die Pensionskassenzusagen gemacht hatten, greift der Pensionssicherungsverein (PSV) Arbeitnehmern weiterhin nicht unter die Arme. Dies hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) kurz vor Weihnachten entschieden. Anders bei Insolvenzen von Firmen, die Leistungen aus Pensionszusagen, U-Kassen und Pensionsfonds zugesagt haben, gehen Arbeitnehmer mit Zusagen aus Firmenpensionskassen weiter leer aus, wenn ihr Arbeitgeber insolvent geworden ist (Az.: C-168/18).

Im deutschen PSV sind Leistungen aus regulierten Firmenpensionskassen ebenso wenig abgesichert wie von Direktversicherungen. Letztere haben jedoch wie die Pensionskassen der Lebensversicherer als Auffangnetz den gesetzlichen Sicherungsfonds Protektor hinter sich.

PSV tritt nicht für Pensionskassenzusagen ein

Der Generalanwalt beim EuGH hatte in seinem Schlussantrag des Verfahrens gegen den PSV daher für den Fall von Pensionskassen mit Unterdeckung zumindest Handlungsbedarf für den Staat gesehen, damit Arbeitnehmer im Insolvenzfall nicht bei ihrer Betriebsrente benachteiligt werden (procontra berichtete). Der EuGH ist dem Antrag nur für Fälle von "unverhältnismäßigen Verlusten" gefolgt. Nun muss das Bundearbeitsgericht (BAG), das den Fall vorab dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt hatte, in der Sache selbst entscheiden.

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Geklagt hatte ein Betriebsrentner gegen den PSV. Er hatte von seinem früheren Arbeitgeber seit 2000 eine Pension und jährliches Weihnachtsgeld sowie von der Pensionskasse für die Deutsche Wirtschaft (PKDW) eine Rente bekommen. 2003 geriet die Kasse in Schwierigkeiten und kürzte die Rente um 7,4 Prozent. 2012 wurde dann sein Arbeitgeber insolvent. Für Pension und Weihnachtsgeld steht seither der PSV ein. Die PKDW zahlt die 2003 gekürzte Pensionskassenrente bis heute weiter. Der Rentner klagte auf die Differenz von 82 Euro pro Monat. Damit dürfte er nun vor dem BAG scheitern.

Schon vor der EuGH-Entscheidung hatte PSV-Vorstand Hans H. Melchiors klargestellt: „Bislang ist der PSV für Pensionskassen nach deutscher Rechtslage nicht zuständig.“ Diese Rechtsauffassung hat der EuGH nun bestätigt. Anders wäre es nur gewesen, wenn der betreffende Mitgliedstaat die Pflicht, den verlangten Mindestschutz sicherzustellen, auf den PSV übertragen hat. Hat er aber nicht.

Was der EuGH noch entschieden hat

Bei der Gelegenheit entschied der EuGH auch zu den anderen vorgelegten Vorabanfragen des BAG zu Artikel 8 der Richtlinie 2008/94/EG über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers, die darauf hinauslaufen, dass die bAV nicht unverhältnismäßig gekürzt werden darf:

  • Artikel 8 ist anwendbar, wenn eine Pensionskasse, die selbst nicht zahlungsunfähig ist, Leistungen kürzt, aber der ehemalige Arbeitgeber wegen Zahlungsunfähigkeit die Kürzungen nicht ausgleichen kann.

  • Die Verluste des Betriebsrentners sind unverhältnismäßig und müssen notfalls vom Staat aufgefangen werden, wenn der Ex-Arbeitnehmer dadurch unter die von Eurostat ermittelte Armutsgefährdungsgrenze fällt. „Die Fähigkeit des Betroffenen, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, müsste schwerwiegend beeinträchtigt sein“, heißt es in der Urteilsbegründung.

  • Hat ein Mitgliedsstaat die Richtlinie nicht oder nur unzulänglich in nationales Recht umgesetzt, kann der Einzelne Rechte vor einem nationalen Gericht gegenüber dem Mitgliedstaat geltend machen (Staatshaftung). Er kann dies auch gegenüber einer privatrechtlich organisierten Einrichtung geltend machen. Der EuGH sieht den PSV als „eine öffentliche Stelle des Mitgliedstaats“ an.

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Gesetzgeber will Pensionskassen unter PSV-Schutz stellen

Die Botschaft aus Luxemburg ist jedoch zweischneidig: Es liegt in den Händen des deutschen Gesetzgebers, ob er zur Abwendung von Staatshaftung bei unverhältnismäßigen Verlusten von Arbeitnehmern durch Insolvenz des Arbeitgebers tätig wird und Pensionskassen in die PSV-Pflicht einbezieht oder nicht. Dies würde tief in die aktuelle Rechtslage eingreifen (procontra berichtete).

Schon vor dem Urteil hatte das Bundesarbeitsministerium (BMAS) angekündigt, Pensionskassen, die nicht gemeinsame tarifliche Einrichtungen oder Mitglied von Protektor sind, künftig unter den Schutzschirm des PSV zu stellen. Wie aus dem Referentenentwurf eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 12. November 2019 hervorgeht, soll auch der Pensionskassen-Bestand betroffen sein, jedoch nur künftige Insolvenzfälle der Arbeitgeber zu einem noch festzusetzenden Stichtag in der Zukunft.

Gibt er Gesetzgeber dazu grünes Licht – vor April dürfte das nicht der Fall sein - verteuert sich die bAV über Pensionskassen, da Arbeitgeber dann auch für diesen Durchführungsweg PSV-Beiträge bezahlen müssten. Die Pläne stoßen beim PSV und seinen Mitgliedern (Arbeitgeber) auf Widerstand. Der PSV-Schutzwürde wohl schon ab der kleinsten Leistungskürzung greifen, während das EuGH-Urteil nur auf „unverhältnismäßige Verluste“ abstellt.

Was tun bei Insolvenz von Pensionskassen selbst?

Handlungsbedarf gibt es objektiv auch bei den Kassen selbst, da sich Schieflagen in jüngster Zeit mehren, die wegen der Niedrigzinsphase Nachschüsse von Arbeitgebern verlangen oder ihre Beiträge erhöhen und Leistungen senken müssen – alles unter Regie der BaFin (procontra berichtete). Bislang gilt daher der Grundsatz, dass sie gar nicht insolvent werden können – alles unter Regie der BaFin.

Ob das so bleibt, ist offen, denn die BaFin hat der Deutschen Steuerberaterversicherung, Pensionskasse des steuerberatenden Berufs (DSV), zum 1. Oktober 2019 das Neugeschäft untersagt und will demnächst die Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb widerrufen, weil die Kasse die Solvabilitäts- und Mindestkapitalanforderungen nicht mehr erfüllt. Die Kasse hat auch keine Trägerunternehmen, die als Arbeitgeber für die Betriebsrentner einspringen könnten.

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