Neue Regeln für Anleger

„Es geht darum, Fondsschließungen zu verhindern.“

Fondsgesellschaften können seit Kurzem die Rückgabe von Anteilen beschränken und Transaktionskosten auf die Investoren umlegen. Mit welchen Veränderungen Anleger noch rechnen müssen und warum sie sinnvoll sind, erklärt Peggy Steffen, Leiterin Risikomanagement beim deutschen Fondsverband BVI.

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08:05 Uhr | 16. Mai | 2022
Peggy Steffen, Leiterin Risikomanagement beim Fondsverband BVI

„Es geht darum, Fondsschließungen zu verhindern“, erklärt Peggy Steffen, Leiterin Risikomanagement beim Fondsverband BVI. | Quelle: BVI

procontra: Bereits Ende März 2020 ist eine Änderung im Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB) in Kraft getreten, die aber erst jetzt praktisch zum Tragen kommt: Fondsgesellschaften führen seit Beginn dieses Jahres neue Instrumente in ihre Anlagebedingungen ein, die für Anleger durchaus Veränderungen bedeuten. Was konkret wird sich mit dem Einsatz der neuen Instrumente verändern?

Steffen: Der Gesetzgeber in Deutschland hat die Liquiditätssteuerung von Investmentfonds und damit den Anlegerschutz verbessert. Es gibt nun drei neue Instrumente: Rücknahmebeschränkungen, Swing Pricing und Rücknahmefristen. Die Rücknahmefristen kennen wir in Deutschland bereits seit 2013 bei den offenen Immobilien-Publikumsfonds, dort nennt man sie Kündigungsfristen, es handelt sich aber im Prinzip um dasselbe. Eine Fondsgesellschaft kann jetzt auch für offene Wertpapierfonds mit dem Anleger vereinbaren, dass er seine Anteile nicht mehr täglich, sondern nur einmal im Monat zurückgeben kann.

procontra: Worin besteht der Unterschied zur Rücknahmebeschränkung?

Steffen: Rücknahmefristen sind ein dauerhaftes Instrument und können nicht für zum Beispiel nur einige Wochen, in denen die Märkte angespannt sind, aktiviert werden. Die Rücknahmefristen gelten dann immer. Das ist bei Rücknahmebeschränkungen anders. Hier kann der Anleger seine Anteile wie bisher täglich zurückgeben. Nur in einer Marktkrise kann eine Fondsgesellschaft, die dieses Instrument für ihre Fonds eingeführt hat, die Auszahlung der Order beschränken.

procontra: In welcher Situation setzt eine Fondsgesellschaft diese Beschränkung ein?

Steffen: Wenn zu einem Zeitpunkt viele Anleger gleichzeitig ihre Anteile zurückgeben wollen und der Fonds dann nicht ausreichend liquide Mittel hat, um alle Rückgaben in voller Höhe gleichermaßen zu bedienen, dann kann die Rücknahmebeschränkung, das sogenannte Gating, aktiviert werden: Die Kapitalverwaltungsgesellschaft (KVG) entscheidet zu diesem Zeitpunkt, die Anleger nur nach einer bestimmten Quote auszuzahlen, die sich danach richtet, was an Liquidität im Fonds zur Verfügung steht. Das heißt, der Anleger bekommt zu diesem Zeitpunkt Geld aus dem Fonds, aber möglicherweise nicht seine vollständige Order, die er aufgegeben hat, sondern nur einen Teil davon.

procontra: Wie müssen sich Anleger diese Rücknahmebeschränkung konkret vorstellen?

Steffen: Angenommen ein Anleger möchte an Tag 1 einhundert Fondsanteile veräußern, bekommt durch das Gating aber nur 50 ausgezahlt, dann kann er am nächsten Tag einen neuen Verkaufsauftrag über die restlichen 50 Anteile aufgeben. Wenn dann aber die Liquiditätssituation immer noch nicht entspannt ist, kann die KVG das Gating erneut aktivieren und er bekommt zum Beispiel 30 zurück und die fehlenden 20 dann möglicherweise am nächsten Tag. Das Gating muss jeden Tag neu anhand der verfügbaren Liquidität und Anlegerrückgabeverlangen bewertet und aktiviert werden, das ist kein Automatismus. Der Zeitraum für die Rücknahmebeschränkungen darf insgesamt nicht länger als 15 aufeinanderfolgende Tage sein. Andernfalls käme das einer Aussetzung der Rücknahme von Anteilscheinen gleich, die es als Instrument schon vorher gab.

procontra: Etwas komplizierter wird es beim Swing Pricing, durch das Anleger die Transaktionskosten im Fonds mittragen müssen, wenn sie Anteile zurückgeben wollen.

Steffen: Da haben Sie recht. Das Swing Pricing ist eigentlich kein echtes Liquiditätssteuerungsinstrument, sondern eine Form der Anteilpreisberechnung: Wenn viele Fondsanteile zurückgegeben werden, muss die Fondsgesellschaft für die Auszahlung Liquidität beschaffen, das heißt Wertpapiere aus dem Fonds verkaufen. Dabei entstehen Transaktionskosten, die ohne Swing Pricing nur die Anleger, die im Fonds bleiben, belasten würden. Das ist ungerecht. Das Swing Pricing sorgt dafür, dass die Transaktionskosten praktisch auch die Anleger belasten, die zu den hohen Rückgaben beigetragen haben. Damit werden insbesondere Kleinanleger geschützt, wenn zum Beispiel Großanleger zur kurzfristigen Beschaffung von Liquidität viele Anteile an Publikumsfonds verkaufen.

procontra: Warum braucht es überhaupt die neuen Instrumente?

Steffen: Wir setzen uns schon seit 2017 für mehr Werkzeuge zur Liquiditätssteuerung von Wertpapierfonds ein, um noch besser durch Marktkrisen zu kommen. Es geht letztlich darum, das härteste aller Werkzeuge, die Fondsschließung, zu verhindern. Im Vergleich dazu wird der Anleger deutlich bessergestellt, weil er bei einer Fondsschließung auf sein Geld auf unbestimmte und lange Zeit warten und im schlimmsten Fall der Fonds insgesamt abgewickelt werden muss. Diesen verbesserten Anlegerschutz hat auch die BaFin auf ihrer Internetseite betont. Außerdem schließt der Fondsstandort Deutschland eine Lücke im Vergleich zu anderen Standorten in der EU, die bereits seit Jahren über diese Instrumente verfügen.

procontra: Wie können Fondsgesellschaften die neuen Tools einführen?

Steffen: Bei Fonds, die schon am Markt sind, müssen die Anlagebedingungen geändert werden. Darin muss zum Beispiel genau erläutert werden, wie die Rücknahmebedingungen aussehen und wie der Anteilpreis berechnet wird. Auch im Verkaufsprospekt muss das Verfahren dazu näher erläutert werden. Zusammen mit der BaFin haben wir für unsere Mitglieder Muster für die Formulierung erarbeitet.

procontra: Müssen Finanzberater gleichermaßen über die neuen Instrumente informieren?

Steffen: Bevor Kunden investieren, müssen sie allgemein auch über die Instrumente der Liquiditätssteuerung informiert werden. Bei Fonds, die ihre Anlagebedingungen ändern, werden die depotführenden Stellen die Anleger bereits über die regelmäßigen Berichte der Fonds oder über den Jahresdepotauszug entsprechend informieren. Wird das Gating zudem im Krisenfall aktiviert, erhalten Anleger auf der Internetseite der KVG aktuelle Informationen dazu.

procontra: Welchen Effekt haben die neuen Instrumente womöglich auf das Anlegerverhalten? Besteht nicht die Gefahr, dass sie potenzielle Anleger verschrecken?

Steffen: Nein, die Gefahr sehen wir nicht. Als damals für die offenen Immobilien-Publikumsfonds (OIF) die Mindesthalte- und die Kündigungsfrist eingeführt wurden, hatten viele Marktteilnehmer die Sorge, dass kein Sparer mehr in diese Fonds investieren würde. Aber diese Sorge war unbegründet. Nach der Einführung dieser Instrumente erzielten Immobilienfonds weiterhin hohe Zuflüsse, seitdem überwiegend von Privatanlegern.

procontra: Warum hat das Anleger nicht davon abgehalten, auch weiter in diese Fonds zu investieren?  

Steffen: Investmentfonds bieten die einzigartige Möglichkeit, bereits mit geringen Beträgen risikogestreut von den Chancen der Wertpapier- und Immobilienmärkte zu profitieren. Bei den zusätzlichen Instrumenten zur Liquiditätssteuerung von Fonds geht es letztlich darum, auf Marktkrisen noch besser vorbereitet zu sein und im Anlegerinteresse mildere Maßnahmen als die Aussetzung der Rücknahme zu nutzen.

procontra: Wie viele Fondsgesellschaften werden sich der neuen Instrumente bedienen?

Steffen: Das wissen wir nicht. Es bleibt im Ermessen der KVG, ob sie eines der Instrumente nutzen möchte. Aber die BaFin erwartet, dass das Gating, also die Rücknahmebeschränkung, grundsätzlich bei Publikumsfonds vereinbart wird. Bei den Rücknahmefristen sehen wir bislang keinen Bedarf, auch weil sie eine dauerhafte Maßnahme sind. Das Swing Pricing ist sehr komplex und aufwendig und setzt eine starke Zusammenarbeit mit der Verwahrstelle, die die Anteilpreise berechnet, voraus. 

procontra: Und wenn Fondsgesellschaften keines der Tools nutzen möchte?

Steffen: Auf EU-Ebene zeichnet sich ab, dass Fonds neben der Aussetzung der Rücknahme künftig mindestens ein Liquiditätssteuerungsinstrument einsetzen müssen. Hierzu zählen beispielsweise auch Rücknahmegebühren. Unabhängig davon sind Fonds bisher – also ohne die neuen Instrumente – für Marktkrisen gut aufgestellt. Schließlich müssen die KVGs gesetzlich ein Risiko- und Liquiditätsmanagement vorhalten und prüfen: Ist genug Liquidität vorhanden? Muss die KVG vielleicht schon bei ersten Anzeichen einer angespannten Marktlage eingreifen und Wertpapiere verkaufen, um Liquidität zu schaffen? Fondsgesellschaften müssen Liquiditätsstresstests durchführen. Dabei wird auch geprüft, wie das Anlegerverhalten in der Vergangenheit war und fragen: Wann sind typischerweise Rücknahmen zu erwarten? Lassen sich daraus Rückschlüsse für die Zukunft ziehen? Das ist das tägliche Geschäft der Fondsgesellschaften, und das sind alles Maßnahmen, die schon greifen und die auch krisenwirksam waren. Jetzt wurde der Werkzeugkasten mit Liquiditätsinstrumenten ergänzt, und Fonds sind damit auf künftige Krisen besser vorbereitet.