Neue Regeln für Geldanlagen

Liquide Steuerung

Kommt es zu einer Finanzkrise, droht Anlegern im schlimmsten Fall die Schließung eines Fonds. Um dieses Szenario zu verhindern, können Fondsgesellschaften ab sofort neue Regeln in ihren Anlagebedingungen verankern.

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06:05 Uhr | 27. Mai | 2022
Fondsgesellschaften ab sofort neue Regeln in ihren Anlagebedingungen verankern

Anleger sollten in Krisenzeiten Ruhe bewahren, verfallen aber häufig in Hektik und verkaufen ihre Anteile. Der Investmentwelt stehen nun drei Instrumente zur Verfügung, um die Liquidität der Fonds in turbulenten Marktphasen besser steuern zu können. | Quelle: zlaki

Der Angriffskrieg auf die Ukraine hat die Börsen in Unruhe versetzt und mit ihnen auch die Anleger, die um ihr Geld bangen. Zuvor sorgte bereits die kontinuierlich steigende Inflation – und nicht zu vergessen die Pandemie – für Anspannung an den Kapitalmärkten. Der Impuls, Anteile schnell zu verkaufen, um den eigenen Verlust zu begrenzen, ist naheliegend. Und die Mahnung von Finanzberatern, Anleger sollten in Krisenzeiten stets Ruhe bewahren und nicht in Hektik verfallen, verfangen nicht immer.  

Doch ziehen zu viele Investoren plötzlich ihr Geld aus einem Fonds, könnte sich wiederholen, was den offenen Immobilienfonds (OIF) in der Finanzkrise passierte. Damals forderten Scharen von Anlegern ihr Geld gleichzeitig zurück. Allerdings lassen sich Immobilien nur schwer ad hoc verkaufen – zumal in einer Finanzkrise. Letztlich mussten viele OIF schließen, Anleger kamen nicht mehr an ihr Geld. Um diese Kettenreaktion künftig zu verhindern, wurden bereits 2013 für die offenen Immobilienfonds strengere Mindesthalte- und Rückgabefristen erlassen.

Seit diesem Frühjahr stehen auch der restlichen offenen Investmentwelt drei Instrumente zur Verfügung, um die Liquidität in ihren Fonds in turbulenten Marktphasen besser steuern zu können.  

Rücknahmebeschränkung (Gating)

Eines dieser Instrumente ist die Rücknahmebeschränkung, auch als Gating bekannt: Es kann aktiviert werden, „wenn zeitgleich viele Anleger ihre Anteile zurückgeben wollen und der Fonds dann nicht ausreichend liquide Mittel hat, um alle Rückgaben in voller Höhe gleichermaßen zu bedienen“, erklärt Peggy Steffen, Leiterin Risikomanagement beim Fondsverband BVI (lesen Sie hier das Interview). Ein Beispiel: ein Anleger möchte 100 Fondsanteile veräußern, bekommt durch das Gating aber zunächst nur 50 ausgezahlt. Er kann dann am nächsten Tag einen neuen Verkaufsauftrag über die restlichen 50 Anteile aufgeben. Wenn sich die Liquiditätssituation aber immer noch nicht entspannt hat, kann das Gating erneut aktiviert werden, wodurch er wieder nur einen Teil seines Auftrages erfüllt bekäme. Das Gating müssen Fondsgesellschaften jeden Tag, anhand der verfügbaren Liquidität und Anlegerrückgabeverlangen, neu bewerten und gegebenenfalls aktivieren.

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Bereits seit 2017 setzt sich der Fondsverband für mehr Werkzeuge zur Liquiditätssteuerung von Wertpapierfonds ein. „Es geht letztlich darum, das härteste aller Werkzeuge, die Fondsschließung, zu verhindern“, so Steffen. Mit den neuen Instrumenten seien Anleger nun deutlich bessergestellt, schließlich müssten sie bei einer Fondsschließung auf unbestimmte Zeit auf ihr Geld warten und im schlimmsten Fall droht sogar die Abwicklung des Fonds, wie viele OIF-Anleger schmerzlich erfahren mussten.

Swing Pricing

Um einen verbesserten Anlegerschutz gehe es auch beim zweiten Instrument, dem Swing Pricing. Dabei handelt es sich eigentlich um kein echtes Liquiditätssteuerungsinstrument, sondern um eine Form der Anteilpreisberechnung. Ausgangspunkt ist erneut der gleichzeitige Verkaufswunsch vieler Anleger: Um das bestehende Portfolio beizubehalten, müssen in einem solchen Fall Fondsgesellschaften diese Anteile wieder nachkaufen. Dadurch entstehen hohe Transaktionskosten – zulasten des bestehenden Fondsvermögens und damit jener Investoren, die im Fonds bleiben. „Das ist ungerecht“, kritisiert BVI-Expertin Steffen.

Das Instrument sorgt nun dafür, dass die Anteilspreise nach oben oder unten angepasst werden (Swing). Damit müssen auch jene Anleger die Transaktionskosten tragen, die zu den hohen Rückgaben beigetragen haben. So wolle man insbesondere Kleinanleger schützen, wenn Großanleger zur kurzfristigen Beschaffung von Liquidität viele Anteile verkaufen. Aber: Swing Pricing ist insofern problematisch, als dass Anleger nicht erkennen können, ob gerade eine Anpassung stattfindet. Die Fondsgesellschaften müssen darüber nämlich keine Auskunft geben.

Rücknahmefristen

Das dritte Instrument, die Rücknahmefristen, kommt bereits bei den offenen Immobilienfonds zum Einsatz: Eine Fondsgesellschaft kann jetzt auch für offene Wertpapierfonds mit dem Anleger vereinbaren, dass er seine Anteile statt täglich nur noch einmal im Monat zurückgeben kann. Rücknahmefristen sind damit kein temporäres, sondern ein dauerhaftes Instrument, gelten also nicht nur für den Zeitraum einer Finanzkrise. Das beschränkt zwar erst einmal Anleger in ihrer Freiheit, Anteile nach zeitlichem Belieben zu veräußern. Allerdings wäre eine Rückgabe in einer Krise ohnehin selten ratsam: Anleger sollten langfristig denken und Marktkapriolen auch einmal aussetzen. Der BVI geht ohnehin nicht davon aus, dass Fondsgesellschaften dieses Instrument wählen, weil es Anleger dauerhaft beschränken würde.

Den Fondsgesellschaften ist es freigestellt, ob sie eines der Instrumente nutzen möchten. Allerdings erwartet die BaFin, dass zumindest die Rücknahmebeschränkung grundsätzlich bei Publikumsfonds vereinbart wird. Das Swing Pricing wird wohl aufgrund seiner Komplexität seltener genutzt werden, glaubt Steffen.

Finanzberater in der Aufklärungspflicht?

Über die Änderung der Anlagebedingungen erfahren Kunden durch die depotführenden Stellen. Anlageberater stünden jedoch nicht in der Pflicht, in besonderem Maße über die neuen Instrumente aufzuklären, sagt Martin Klein, Geschäftsführender Vorstand vom Votum-Verband. Die Begründung: Die BaFin werte die Instrumente als verbraucherschützend. Zudem sei davon auszugehen, dass die Kapitalverwaltungsgesellschaften ihrerseits in den Anlegerinformationen die entsprechenden Hinweise ergänzen. Dennoch dient es der professionellen Kundenbetreuung, wenn Berater ihre Kunden über die möglichen Änderungen ihrer Liquidität informieren.

Es sei auch nicht davon auszugehen, dass die neuen Regeln Anleger vom Investment abhalten: „Wir erwarten kein verändertes Kaufverhalten der Kunden, da wir hier tatsächlich Regelungen zugunsten der Kundeninteressen erkennen“, so Votum-Chef Klein. Auch BVI-Expertin Steffen beschwichtigt: Selbst nach der Einführung der Mindesthalte- und Kündigungsfristen bei den offenen Immobilienfonds, erzielten diese weiterhin hohe Zuflüsse, insbesondere von Privatanlegern.