Kommentar zum Anti-Greenwashing-Gesetz der EU

Nette Etikette

Die Europäische Kommission fordert strengere Regeln für nachhaltige Werbeversprechen. Gleichzeitig hat sie ganz offiziell Atom- und Gaskraft als „grün“ etikettiert. Ein Kommentar

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14:03 Uhr | 23. März | 2023
Grünes Antlitz vor umweltschädigendem Verhalten

Doppelmoral à la EU: Hersteller von „grün“ deklarierten Produkte sollen künftig den Nachweis über ihr Werbeversprechen erbringen. Die EU hingegen nimmt es selbst hingegen nicht ganz so genau mit der Beweispflicht. | Quelle: wildpixel

Das Seelachsfilet ist aus nachhaltiger Fischerei, der Kühlschrank energieeffizient und das T-Shirt nachhaltig produziert. So lauten häufig die vollmundigen Werbeversprechen der Unternehmen. Und sie verfangen: Lag der Umsatz „grüner“ Produkte laut Umweltbundesamt im Jahr 2011 noch bei 27 Prozent, stieg die Nachfrage 2017 bereits auf rund 48 Prozent. Nachhaltige Produkte werden unter deutschen Konsumenten immer beliebter und Supermärkte erweitern ihr Sortiment mit dem Fokus auf vegan, vegetarisch und fair produziert.

Der Haken an der Sache: Über die Hälfte der Aussagen sind vage und irreführend, ein Großteil davon ist nicht belegt. Das ist das Ergebnis einer Studie der Europäischen Kommission. „Da es keine gemeinsamen Vorschriften zu freiwilligen Umweltaussagen, sogenannten Green Claims, von Unternehmen gibt, kommt es zu Grünfärberei“, kritisieren die Studienautoren. Wirklich nachhaltige Unternehmen werden dadurch benachteiligt.

Dagegen will die EU nun vorgehen und fordert Mindeststandards für Werbeaussagen wie „T-Shirt aus recycelten Kunststoffflaschen“, „klimaneutraler Versand“ oder „ozeanfreundlicher Sonnenschutz“. Derlei Angaben sollen künftig unabhängig überprüft und anhand wissenschaftlicher Erkenntnisse belegt werden. „Die heute von der Kommission vorgelegten Vorschläge werden Unternehmen und Verbraucher vor schädlichen Greenwashing-Praktiken schützen“, verspricht EU-Kommissar Virginijus Sinkevičius.

Nur war es auch die EU, die Investitionen in Atom- und Gaskraft als nachhaltig eingestuft hat. Sie macht damit genau das, was sie an anderer Stelle kritisiert: Sie führt Verbraucher, in dem Fall Privatanleger, die auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz setzen, in die Irre. Die EU schreibt sich also einerseits auf die Fahne, das Umweltbewusstsein von Verbrauchern zu schützen, indem sie Produzenten dazu verdonnert, die Nachhaltigkeit ihrer Produkte unter Beweis zu stellen. Gleichzeitig gibt sie den Verbrauchern – per Taxonomie – die Empfehlung, den Wolf im Schafspelz ins Depot zu lassen. In der klinischen Psychologie nennt man das eine Doppelbotschaft. Demnach führen derlei widersprüchliche Aussagen beim Empfänger zu Verwirrung, Unsicherheit und Stress – und sind Indiz einer dysfunktionalen, also gestörten, Beziehung.

In dem Fall ist es allerdings eher die Beziehung der EU zu sich selbst, die nicht ganz kohärent zu sein scheint. Der moralische Anspruch und die politische Realität streiten ganz offensichtlich um die Vormacht. Am Ende ist denkbar, dass der Markt das Problem selbst löst: „Während früher einige Anbieter bei der Einstufung, wie nachhaltig ihre Produkte sind, sehr großzügig waren, beobachten wir heute genau das Gegenteil: Die Branche ist sehr vorsichtig geworden und will sich auf keinem Fall einem „Greenwashing“-Vorwurf aussetzen lassen“, beobachtet Nachhaltigkeitsexperte Christian Klein, Professor für nachhaltige Finanzen an der Universität Kassel. Ende des vergangenen Jahres stuften Vermögensverwalter reihenweise Artikel-9-Fonds zurück zu Artikel-8-Fonds. Die Begründung der Geldhäuser: Widersprüche und Unklarheiten in der Interpretation des Regelwerks der EU für nachhaltiges Investieren.