Ex-Ergo-Vertreter muss 139.000 Euro Provision zurückzahlen
Anfang der 2000er lief es gut für Peter Müller (Name von der Redaktion geändert). Als Versicherungsvertreter der späteren Ergo-Gruppe beriet er in Berlin zahlreiche Botschaftsmitarbeiter und vermittelte überwiegend private Krankheitskosten-Vollversicherungen der DKV. Er war Stammgast in den höchsten gesellschaftlichen Kreisen, bewohnte ein Penthouse in der City und fuhr Mercedes.
Doch im Jahr 2014 kam der Schock: Die DKV wollte den an Diabetes erkrankten libyschen Botschafter nicht versichern. Das erzürnte den Diplomaten so sehr, dass er auf einmal die Verträge aller seiner Mitarbeiter und deren Familienmitglieder kündigte. Müller verlor damit auf einen Schlag den Großteil seiner Kunden. Zudem befanden sich viele Verträge noch mit mehr als 50 Prozent in der Stornohaftung. Diese war im Versicherungsvertragsgesetz – gültig ab dem 01. April 2012 – gerade erst reformiert und damit von zwölf auf 60 Monate verlängert worden. Deshalb forderte die Ergo Vertriebs AG nach Verrechnung von Guthaben 138.900,58 Euro Provision von ihm zurück.
Gesetz sticht vertragliche Vereinbarung
Müller sah sich allerdings aus verschiedenen Gründen im Recht und bezahlte deshalb nicht. Diese Gründe kamen zunächst vor dem Landgericht Berlin (Az. 31 O 395/15, Urteil vom 21.12.2017) auf den Tisch, als die Ergo gegen ihn klagte. So bestand zwischen dem Versicherer und seinem Vertreter ein vereinbarter Stornohaftungszeitraum von zwölf Monaten. Zudem hatte die Ergo ihn nur vier Wochen nach Eingang der Kündigung zurückgepfiffen. Heißt: Müller durfte nicht mehr aktiv auf die Kunden zugehen, da nichts mehr zu retten sei. Gleichzeitig bestätigte die DKV dem Botschafter die Aufhebung der Verträge zum gewünschten Zeitpunkt, dem Jahresende 2014. Deshalb sah der Vertreter die Verantwortung für den Untergang der Verträge beim Versicherer und schlussfolgerte daraus, dass er Anspruch auf die volle Provision habe.
Das LG Berlin jedoch gab der Ergo Recht und verdonnerte Müller zur Rückzahlung. Diese Entscheidung wurde nun, dreieinhalb Jahre später, in der Berufung vor dem Berliner Kammergericht bestätigt (Az. 2 U 5/18, Beschluss vom 04.06.2021).
Gar kein Problem sahen die Richter in der vorhandenen Storno-Vereinbarung mit kürzerer Haftzeit. Die im Gesetz verankerte Regelung sei individuellen Vertragsvereinbarungen vorzuziehen. Zudem habe Müller, heute 77 Jahre alt, im September 2012 einen Nachtrag zur Vertragsverlängerung über das 65. Lebensjahr hinaus mit der Ergo vereinbart, die an eine Stornohaftzeit von 60 Monaten geknüpft war.
Seite 1: 12 oder 60 Monate Stornohaftzeit?
Seite 2: Wenn der Versicherer verbietet, die Verträge zurückzugewinnen
Komplexer wurde es dagegen bei dem im § 87 HGB verankerten Recht des Vertreters, sich um eine Nachbearbeitung der in Not geratenen Verträge bemühen zu dürfen. Andernfalls ist demnach der Versicherer selbst dazu verpflichtet, sich um den Erhalt der Verträge zu kümmern. Doch schon vier Wochen (am 13.11.2014) nach Eingang der Kündigung (14.10.2014) wies die Ergo Müller an, seine Bemühungen einzustellen und machte selbst keine Anstalten mehr, die Verträge zu retten. Im Beschluss heißt es, dass der Botschafter weitere Bemühungen des Vertreters als übergriffig und als Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Botschaft werten würde. Daraufhin beendete die Ergo sämtliches Vorgehen in Richtung Vertragserhalt.
Dass es sich dabei um eine Kulanzentscheidung gehandelt habe, weist man bei der Ergo auf procontra-Nachfrage entschieden zurück. „Natürlich hätten wir dem Vertriebspartner gerne die weitere Gelegenheit eingeräumt – gemäß der üblichen Praxis – sich um den Erhalt der Verträge mit der Botschaft zu bemühen. Dies wurde jedoch seitens der Botschaft explizit abgelehnt“, erklärte ein Ergo-Sprecher. Zwei Gerichte hätten die Rechtmäßigkeit dieses Vorgehens bestätigt.
So heißt es im Beschluss des Kammergerichts: Der Einwand verfängt bereits deswegen nicht, weil nach dem eigenen Vorbringen des Beklagten danach jedenfalls zwischen dem 14. Oktober 2014 und dem 13. November 2014 für ihn Gelegenheit bestand, auf die Fortführung der Vertragsverhältnisse hinzuwirken. Dieser Zeitraum erscheint ausreichend. Die ihm hiernach zur Verfügung stehenden Möglichkeiten hat der Beklagte auch wahrgenommen. Dass er keinen räumlichen Zugang zur Botschaft zu erhalten vermochte, hat dagegen nicht die Klägerin, sprich die Ergo, zu verantworten.
Zudem habe die Ergo durch die Ablehnung der Versicherung des Botschafters nicht das Risiko übernommen, dass dieser deshalb den gesamten Vertragsbestand kündigen würde, bekräftigten die Richter. Andernfalls läge die Verantwortung für den Untergang der Verträge bei der Ergo und Müller stünde trotz der Storni die volle Provision zu.
Nichts mehr zu holen
Pech für Müller, der betont, dass er nicht selbst auf unsere Redaktion zugekommen ist. „Ich habe leider nicht in vollem Maße die Chance bekommen, mich ordentlich um die Verträge zu kümmern“, sagte er heute auf procontra-Nachfrage. Im kleinen, elitären Kreis der Botschafter und der Versicherungsberater, die sich dort bewegen, habe er nach der Aktion seinen guten Ruf verloren. In der Folge habe er einen Burnout bekommen. Berliner Penthouse und Mercedes sind weg, heute wohnt er bei seinen Kindern in Thüringen. Dennoch wird die Ergo die geforderte Provision wohl nicht zurückerhalten. Vor kurzem hat Müller Privatinsolvenz angemeldet.
Wenn Ihnen dieser Artikel gefällt, abonnieren Sie unseren täglichen kostenlosen Newsletter für weitere relevante Meldungen aus der Versicherungs- und Finanzbranche!
Seite 1: 12 oder 60 Monate Stornohaftzeit?
Seite 2: Wenn der Versicherer verbietet, die Verträge zurückzugewinnen