Urteil

Schwer verletzt nach Bahnsurfen – zahlt die Unfallversicherung?

Ein Schüler stürzt brennend von der Lok und überlebt mit hochgradigen Brandwunden. Gilt der selbstverschuldete Sturz auf dem Heimweg von der Schule als Wegeunfall? Ein Urteil des Bundessozialgerichts liefert Aufschluss.

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10:03 Uhr | 31. März | 2023
Schienennetz und Zugoberleitungen

Greift der gesetzliche Unfallversicherungsschutz, wenn sich ein Schüler beim Bahnsurfen schwer verletzt? | Quelle: bjdlzx

Eine „Auflehnung gegen totale Einengung und Öde“. So fasste der Soziologe und Jugendforscher Klaus Hurrelmann 1988 die Motivation von Jugendlichen in Worte, sich mit einem mitunter tödlich endenden Surfen auf S-Bahnen und Regionalzügen Ansehen unter Gleichaltrigen zu verschaffen oder den eigenen Mut auf die Probe zu stellen. Nun machte der Sturz eines jungen Mannes aus Brandenburg von einer fahrenden Regionallok Schlagzeilen. Doch greift bei Schülern, die den Heimweg von der Schule S-Bahn-surfend zurücklegen, der gesetzliche Unfallschutz? Über diese Frage hatte nun das Bundessozialgericht (BSG) zu entscheiden (Az.: B 2U3/21 R).

Was war passiert?

Im Januar 2015 war ein damals 16 Jahre alter Schüler nach Schulende in den Regionalexpress eingestiegen, um nach Hause zu fahren. Während der Fahrt öffnete er die verschlossene Durchgangstür des letzten Waggons mit einem Vierkantschlüssel und kletterte auf die den Zug schiebende Lok. Als er auf dem Dach angelangt war, erlitt er einen Starkstromschlag aus der Oberleitung und stürzte brennend von der Lok. Er überlebte schwer verletzt und zog sich unter anderem hochgradige Verbrennungen auf etwa 35 Prozent der Körperoberfläche zu.

Die Unfallkasse Brandenburg erkannte den Unfall nicht als Wegeunfall an und lehnte die Übernahme der Behandlungskosten ab. Zwischen dem Unfallereignis und der versicherten Tätigkeit bestehe „kein innerer sachlicher Zusammenhang", so die Begründung. Dagegen reichte der Schüler Klage ein und hatte zunächst vor dem Sozialgericht Potsdam auch Erfolg. In zweiter Instanz verneinte das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg allerdings das Ereignis als Wegeunfall und wies die Klage zurück. Der Fall ging in Revision und landete schließlich vor dem Bundessozialgericht. Dort hoben die Richter die Entscheidung auf: Sie gaben dem Schüler Recht.

„Massive alterstypische Selbstüberschätzung"

Schüler seien bei „spielerischen Betätigungen im Rahmen gruppendynamischer Prozesse“ unfallversichert, so ihre Begründung. Im vorliegenden Fall sei es dem Schüler darum gegangen, im Freundeskreis „cool“ zu wirken. Die von ihm selbst geschaffene Gefahr schließe dabei den Unfallversicherungsschutz nicht aus. „Angesichts wiederholt erfolgreicher Surfaktionen steht vielmehr fest, dass die dabei erworbene Sorglosigkeit zu einer massiven alterstypischen Selbstüberschätzung führte", erläuterte das BSG sein Urteil. Zudem habe der Aufstieg auf die Lok den unmittelbaren Heimweg von der Schule nicht unterbrochen.

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