procontra: Herr Haid, das Gesundheitsbewusstsein der Deutschen ist in der jüngeren Vergangenheit – auch wegen Corona – stark gestiegen. Welche Chancen ergeben sich daraus für Makler?
Joachim Haid: Diesen Trend beobachten wir nicht erst seit Corona. Im Werte-Index des renommierten Meinungsforschungsinstituts Kantar steht die Gesundheit als wichtigster Wert seit 2014 auf Platz eins, noch vor den Werten „Familie“ und „Erfolg“. Natürlich bietet das Vermittlern enorme Chancen. Allerdings ist dazu aus meiner Sicht ein anderer Ansatz, eine andere Kundenansprache nötig.
procontra: Die da wäre?
Haid: Bei den klassischen Produkten zur Absicherung gesundheitlicher Risiken läuft die Beratung traditionell über sehr unangenehme Dinge wie Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Tod, Berufsunfähigkeit. Das heißt, man spricht über das Gegenteil dessen, was dem Kunden wichtig ist und ihm – siehe den erwähnten Werte-Index – immer wichtiger wird: seine Gesundheit. Deshalb sollte der Präventionsgedanke viel stärker betont werden.
Wie kann ich meinem Kunden helfen, sein Ziel zu erreichen, nämlich gesund zu bleiben? Daran verdient der Vermittler zwar erst einmal nichts, weil er ja vom Vermitteln lebt. Es geht aber in der Phase zunächst um die geänderte, kundengerechte Ansprache. Mit dem Kunden über Gesundheitsthemen zu reden, ist ein hervorragender Türöffner, um dann auch auf die passenden Versicherungsprodukte zu kommen. Denn auch bei der besten Prävention bleibt immer ein Restrisiko, das mit den klassischen biometrischen Produkten abgedeckt wird.
procontra: Der Makler als Gesundheitsmanager seines Kunden?
Haid: Als eine Art gesundheitlicher Lebensbegleiter, ja. Natürlich hat dieses Konzept seine Grenzen, und die Hauptaufgabe wird sicherlich weiter darin bestehen, sinnvolle Versicherungslösungen für den Kunden zu finden. Dennoch sollten Vermittler in der Lage sein, die Themen Gesundheitserhaltung und Prävention kompetent anzusprechen. Das kann auch ganz konkret zu neuen Abschlüssen führen.
Ein Beispiel: Beim Antrag auf eine private KV haben die Gesundheitsfragen ergeben, dass die Versicherung nur mit Einschränkungen oder Risikoaufschlägen möglich ist. Dann kann ich mir gemeinsam mit dem Kunden überlegen, ob und wie sich sein Zustand verbessern lässt, sodass er die Police in einem Jahr vielleicht doch bekommt. Oder wenn aus einer Arztrechnung hervorgeht, dass der Versicherte Blutfettsenker verschrieben bekam, sogenannte Statine: Dann empfiehlt sich zusätzlich die Einnahme des Ergänzungsmittel Q10.
Man sollte also prüfen, ob der Arzt auch dieses Mittel verschrieben hat – falls nicht, kann ich meinem Kunden einen entsprechenden Hinweis geben. Optimal wäre es, wenn der Versicherer dann auch noch die Kosten für Q10 übernimmt.
procontra: Aber woher soll ich als Makler derartig detaillierte Kenntnisse nehmen?
Haid: Es geht nicht darum, dass Vermittler eine intensive Ausbildung zum Ernährungsberater, Fitnesstrainer und Heilpraktiker durchlaufen, so wie ich das gemacht habe. Grundkenntnisse in Gesundheitsthemen sind dagegen sehr wohl wichtig, aber das ist ja nichts Ungewöhnliches. Gewerbevermittler müssen auch Ahnung von Betriebssicherheit und anderen Dingen haben um Risiken abschätzen zu können. Nur im Gesundheitsbereich hat sich das noch nicht so durchgesetzt wie es wünschenswert wäre.
Für Detailfragen können Makler die Expertise von Partnern wie PaleoMental nutzen. Auch das ist nicht ungewöhnlich – bei einem Kfz-Schaden fertigt das Gutachten ja auch ein Sachverständiger an und nicht der Makler selbst. Auf den Gesundheitsbereich übertragen kann er damit sogar Geld verdienen, zum Beispiel über Provisionen, wenn er bestimmte Gesundheitsseminare empfiehlt. Grundkenntnisse zu Gesundheits- und Vorsorgethemen lohnen sich für den Makler auch dann, wenn er kein absoluter Top-Spezialist auf dem Gebiet ist.
procontra: Sie plädieren für eine sehr individuelle Betreuung in Gesundheitsfragen. Ist das überhaupt zu leisten?
Haid: Der Trend muss aus meiner Sicht sogar zu noch mehr Individualität gehen. Heute fußt der Präventionsgedanke – einfach ausgedrückt – darauf, dass Versicherer ihre Kunden für gesundheitsbewusstes Verhalten belohnen, etwa für die Nutzung entsprechender Apps, für die Mitgliedschaft im Fitnessstudio und einiges mehr. Das ist auch alles ganz schön, es reicht aber nicht, eben weil es nicht individuell genug ist. Möglicherweise trainiert der Kunde im Studio völlig falsch und schadet seiner Gesundheit sogar. Hier muss man genauer hinschauen.
Viele Versicherer sagen zwar, bei zu viel Individualität ist eine Skalierung nicht möglich, aber das halte ich für falsch. Aus dem großen Kundenkollektiv der Unternehmen lassen sich zumindest Untergruppen bilden, in denen individuelle Empfehlungen möglich sind – ohne dass das auf Kosten der Skalierbarkeit geht.