Chef sein ist derzeit besonders riskant. Für Fehlentscheidungen haften sie mit ihrem privaten Vermögen. Und in einer Welt voller Krisen, Kriege, Regularien, Lieferkettenproblemen und drohender Rezession können Manager schon mal daneben liegen, und zwar so fatal, dass das Unternehmen wirtschaftlichen Schaden nimmt. Nichtstun ist auch keine Lösung. Denn auch für nicht getroffene Beschlüsse können Führungskräfte zur Verantwortung gezogen werden.
Makler mit froher Botschaft
Anlässe für behauptetes oder tatsächliches Fehlverhalten gibt es viele, in der Innenhaftung zum Beispiel Kontrollmängel, Verletzung von Berichtspflichten, Kalkulationsfehler oder kriminelles Verhalten von Mitarbeitern, und in der Außenhaftung Insolvenz, Prospekthaftung oder Vertragsstreitigkeiten. Kommt es zu Ungereimtheiten, muss das Unternehmen von dem verantwortlichen Manager Schadenersatz fordern und notfalls vor Gericht vertreten. Darauf sollten Makler die Führungskräfte unter ihren Kunden ruhig einmal hinweisen – verbunden mit der Botschaft, dass auch diese finanziell existenziellen Risiken grundsätzlich versicherbar sind.
Gleichzeitig sind die Produkte – Managerhaftpflichtversicherung oder kurz: D&O-Policen – für Makler ein Türöffner zur Führungsetage eines Unternehmens und damit zu weiteren Anliegen wie betriebliche Krankenversicherung oder betriebliche Altersversorgung. D&O steht für die angelsächsischen Führungsorgane Director and Officers – hierzulande Aufsichtsräte, Vorstände, Geschäftsführer, Prokuristen und andere Entscheidungsträger. Für Ansprüche gegen diese Manager spielt es keine Rolle, ob der Entscheidungsträger noch im Unternehmen arbeitet, oder kürzlich ausgeschieden ist. Aber die D&O-Police ist auch ein seltsames Konstrukt: Die Prämie zahlt das Unternehmen, den Schutz genießen die Top-Manager.
Sorgfalt beim Underwriting
Aktuell jedenfalls haben Führungskräfte es mit „multiplen Krisenherden“ zu tun. „Unternehmen, Unternehmer und ihre Aufsichtsorgane plagen zurzeit viele Herausforderungen. Kurzfristige Entlastung ist kaum in Sicht“, konstatiert Lars Sapara, Leiter Vertrieb bei VOV, auf Anfrage von procontra. Hinter der VOV D&O-Versicherungsgemeinschaft haben sich fünf Produktgeber versammelt, namentlich Continentale, Generali, HDI, Inter und Nürnberger. Marktführer in der Industrieversicherung ist Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS). Auch eine Sprecherin der Konzernmutter Allianz sagte, dass das Kundeninteresse an D&O-Verträgen „durchgehend auf hohem Niveau ist“. Allerdings hätten im Mittelstand viel Unternehmen noch keine Absicherung, „obwohl auch sie durchaus Bedarf daran hätten“.
Gleichzeitig betont die Allianz-Sprecherin, dass der Versicherer im Bereich D&O „ein auf das individuelle Risiko bezogenes Underwriting durchführt, dass also im jeweiligen Einzelfall aktuelle wirtschaftliche und regulatorische Rahmenbedingungen für die Risikoeinschätzung relevant sind.“ Auch Alexander Probst, Geschäftsführer bei VOV, betont mit Blick die Herausforderung für D&O-Versicherer, „große Sorgfalt im Underwriting walten zu lassen“.
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Die Ausführungen legen einen Schluss nahe: Die gesamte Branche überlegt sich sehr gründlich, ob und welche Risiken sie im Bereich Managerhaftung übernimmt; frei nach dem Motto: Gebranntes Kind scheut das Feuer. Zuletzt gab es einige Großschäden, etwa bei Volkswagen, Wirecard und ThyssenKrupp. In der Folge haben die Anbieter ihre Prämien erhöht und zum Teil ihre Kapazitäten reduziert. Manche D&O-Versicherer haben sich sogar aus dem Segment zurückgezogen. Und neuerdings schließen einige D&O-Policen auch Cyberrisiken aus. Der Markt hat sich verhärtet, wie Fachleute sagen. Inzwischen stabilisiert sich die Lage wieder. „Eine weitere Reduzierung der Kapazitäten ist nicht zu erwarten“, meint VOV-Chef Probst.
Dennoch gilt aktuell: Viele potenzielle D&O-Kunden würden gerne mehr Deckungen kaufen, als die Branche derzeit anbietet. An dieser Stelle wird ein Beratungsansatz für Makler sichtbar: Wer eine zum Bedarf eines Kunden passende D&O-Police findet, dürfte offene Türen vorfinden. Ein Vergleich der Angebote im Markt ist allerdings schwierig, vor allem weil die Produktgeber derzeit so vorsichtig sind.
Einen interessanten Produktbaustein bietet zum Beispiel VOV an. Die sogenannte ReCo-Deckung zielt auf die Verhinderung einer drohenden Insolvenz. Dazu Vertriebsleiter Sapara: „Die VOV übernimmt zur Vermeidung des Eintritts eines D&O-Versicherungsfalls die Kosten der Beauftragung eines Top-Spezialisten für Restrukturierung und Sanierung, der die Versicherungsnehmerin, ein Tochterunternehmen oder eine versicherte Person situationsbezogen berät.“
Flexible Lösungen
Auf jeden Fall bietet der Markt für D&O-Policen flexible Lösungen; und es handelt sich um ein Wachstumsfeld. Die Bruttobeiträge sind von 2017 bis 2021 um 72 Prozent auf 401 Millionen Euro gestiegen: Die Entwicklung der Schadenquote zeigt, wie volatil die Ergebnisse der Produktanbieter sind. Seit 2017 haben die Versicherer in dieser Sparte nur 2019 und 2020 einen Gewinn erzielt. In den drei übrigen Jahren dürfen die Anbieter unter Berücksichtigung marktüblicher Kosten Verluste gemacht haben, teilt der Brancheverband GDV Anfang Oktober mit. Vor allem nach Insolvenzen seien Manager mit sehr hohen Schadensansprüchen konfrontiert. Chef sein ist riskant, aber dafür gibt es ja Versicherungen.
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