Schadenprävention in der Versicherungsbranche

Vom Payer zum Player

Durch niedrige Zinsen und steigende Schadenhöhen fokussieren sich die Versicherer immer stärker auf präventive Maßnahmen. Eine Kehrtwende, die auch dem Anspruch an Nachhaltigkeit nachkommt.

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09:11 Uhr | 29. November | 2021
Mann auf Boot aus Dollarnote

Während früher der Fokus der Versicherer auf der Schadenregulierung lag, zwingt der gestiegene Kosten- und Ertragsdruck die Branche zum Umdenken: Die Schadenprävention steht nun im Zentrum. | Quelle: Adobe Stock

In der Versicherungsbranche gilt mehr denn je: Der beste Schaden ist der, der gar nicht erst entsteht. Dennis Wittkamp, Analyst bei der Kölner Ratingagentur Assekurata ist überzeugt, dass das Thema Prävention weiter an Bedeutung gewinnen wird. „Aufgrund des Niedrigzinsumfeldes und den in der Folge unverändert rückläufigen Kapitalmarktrenditen müssen die Versicherer verstärkt auf die Profitabilität ihres Versicherungsgeschäfts achten“, sagt er.

Während früher der Fokus der Versicherer auf der Schadenregulierung lag, zwingt der gestiegene Kosten- und Ertragsdruck die Branche zum Umdenken. 2021 wird mit rund 11,5 Milliarden Euro das wohl teuerste Naturgefahrenjahr seit 50 Jahren, heißt es seitens des GDV. Die Versicherungswirtschaft müsse sich demnach gerade bei den Schaden- und Unfallsparten auf ein negatives Geschäftsergebnis einstellen.

Im Gesundheitssektor ist Prävention schon lange ein Riesenthema. Ob Schrittzähler, Vorsorgeuntersuchungen oder Fitnesskurse: Krankenkassen und -versicherer subventionieren seit Jahren das gesunde Verhalten ihrer Kundschaft. „Vom Payer zum Player“, lautet eine Redewendung, die die Entwicklung vom Leistungserstatter hin zum Gesundheitsdienstleister treffend beschreibt.

Früher seien 95 Prozent der Ausgaben bei den Krankenkassen für kurative und der Rest für vorbeugende Maßnahmen ausgegeben worden, sagt Zukunftsforscher Kai Gondlach. „Das wollen die Krankenversicherer komplett umdrehen.“ Auch über Anreizsysteme: „Wer gesund bleibt, bekommt am Ende des Jahres Geld von der Krankenkasse zurück.“ Ein System, das sich auch auf Haftpflicht, Hausrat oder Rechtsschutz übertragen ließe, meint Gondlach.

Vorsicht vor Scheinsicherheit

Und das passiert bereits: Erste Versicherer senken mittlerweile die Prämien für Kunden, die sich Warnsysteme in ihre Häuser einbauen lassen. Alexander Küsel, Leiter der Schadenverhütung Sachversicherung beim GDV, sieht die Smart-Home-Technologien aber auch kritisch. „Die Anbieter kommen oft aus der Unterhaltungselektronik und beispielsweise nicht aus dem Alarmanlagenbereich, in dem es wesentlich höhere Anforderungen an das System gibt.“ Das führe zu einer Scheinsicherheit.

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Andere Versicherer bieten ihren Kunden eigene präventive Lösungen an: „Manche kooperieren zum Beispiel mit Produktherstellern aus dem Sicherheitsbereich, die eine eigene Alarm- und Notrufzentrale betreiben“, sagt Küsel. Derlei Kooperationen gebe es auch beim Thema Leitungswasser, immerhin eine der häufigsten Schadenursachen. Professionell installierte Sensor-Systeme melden dem Kunden wichtige Daten in Echtzeit und schalten bei einer Leckage oder einem zu starken Durchfluss die Anlage ab.

Das verhindert zwar nicht den Schaden, begrenzt ihn aber. Kunden, die ein solches Warnsystem nutzen, könnten ebenfalls mit günstigeren Prämien rechnen, so Küsel. Zwar liege der Fokus der Versicherer nach wie vor eher auf der Prävention großer Industrieschäden, aber er verschiebe sich allmählich auf Privatschäden wie Einbruch, Diebstahl und Leitungswasser sowie Naturgefahren.

Nachhaltigkeit wird zum Treiber

Versicherer müssen insgesamt stärker in die Risikoprävention gehen, davon ist auch Monika Behrens, Geschäftsführerin von Willis Towers Watson Versicherungsmakler, überzeugt. Zumal Versicherungsunternehmen zunehmend verpflichtende Auflagen für ihre Kunden aussprechen. „Im Bereich der Cyber-Versicherung werden Mindestanforderungen an die IT-Sicherheit gestellt, ansonsten schauen Versicherer sich diese Risiken gar nicht erst an, geschweige denn bieten Versicherungsschutz an“, sagt die Geschäftsführerin. Oder die Prämienhöhe werde für Unternehmen unbezahlbar.

Und auch wenn sich nicht immer ein konkretes Prämieneinsparpotential ableiten lässt: Sinkt der Gesamtschadenaufwand auf Seite der Versicherer, führt das wiederum zu besseren Konditionen für die Kunden. Die zunehmenden Unwetterereignisse und die Pandemie haben das Bewusstsein für vorbeugende Maßnahmen in den vergangenen Monaten deutlich gesteigert, sagt Gondlach. Allerdings gebe es ein Problem, nämlich das sogenannte Präventionsparadox: Wenn durch bestimmte Vorsichtsmaßnahmen der Schaden ausbleibt, sinkt das Bewusstsein für die entsprechende Gefahr und Menschen lassen sich von bestimmten Maßnahmen nicht mehr überzeugen, denn: Es ist ja nichts passiert.

Der Nachhaltigkeitstrend befeuert zudem den Run auf präventive Maßnahmen. Mit jedem verhinderten Schaden werden schließlich Ressourcen geschont. Schadenprävention ist per se nachhaltig“, bewertet Gondlach. Nachhaltigkeit wird so zum Treiber für Prävention. Matthias Böhm, Geschäftsführer der Bremer Nordwest Assekuranzmakler GmbH, beobachtet zudem, dass Versicherer, die sich selbst das Thema Corporate Social Responsibilty auf die Fahne schreiben, auch gerne Kunden versichern, die es ihnen gleichtun. Der Hintergedanke: Wer achtsamer mit den Ressourcen umgeht, agiert womöglich insgesamt präventiver. „Das ist der Brückenschlag zur Prävention“, so Böhm.

Prävention als USP des Maklers?!

Aber wie sollten Makler mit dem Thema Prävention umgehen? „Ich bin überzeugt, dass der Makler der Sachwalter der Gesamtrisikokosten der Kunden ist“, sagt Böhm. Wer sich nur auf die Prämien fokussiere, werde beliebig und austauschbar. Zumal: Wenn ein Unternehmen zehn Millionen Euro Umsatz im Jahr macht und nur einen Bruchteil davon für die Versicherungskosten aufwenden muss, seien noch niedrigere Prämien eher uninteressant. „Wenn Makler aber erklären, wie durch präventive Maßnahmen der Umsatz stabil gehalten werden kann, wird er als Kümmerer Teil der Sicherung des eigentlichen Geschäftsmodells.“ So erfasst der Präventionsgedanke, initiiert von den Produktgebern, auch die Kundschaft.

GDV-Mann Küsel glaubt, dass Makler mit der Aufklärung rund um Schadenvorbeugung ein Alleinstellungsmerkmal für sich beanspruchen können und sich damit einen Wettbewerbsvorteil sichern. „Wenn Makler aktiv auf ihre Kunden zugehen und ihnen die finanziellen Vorteile aufzeigen, führt das zu einer langfristigen Kundenbindung.“ Jedoch sei es nicht immer leicht, Kunden von präventiven Maßnahmen zu überzeugen. „Noch ist die Flut im kollektiven Gedächtnis, aber nach ein zwei Jahren, das merken wir auch in der Beratung, treten solche Ereignisse immer mehr zurück.“ Der Angsteffekt nutzt sich über die Zeit ab und das Präventionsparadox entfaltet wieder seine Wirkung.

In unserer aktuellen Themenwoche beschäftigen wir uns mit der Frage, inwiefern das Thema Schadenprävention auch in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen wird. „Prävention ist ein Thema, das alle gesellschaftlichen Gruppen betrifft“, mahnte erst kürzlich GDV-Geschäftsführer Jörg Asmussen. Schließlich erwarten auch Risikoanalysten, dass Versicherer künftig jedes Jahr immer höhere Schäden durch Naturkatastrophen, Cyberangriffe und andere Gefahren stemmen müssen.