Die "Schönheitsfehler" von ETFs

Sind passive ETFs immer den aktiv verwalteten Fonds gegenüber vorzuziehen? Auch ETFs haben ihre "Schönheitsfehler". Welche das sind und wann sich welche Fonds lohnen.

08:11 Uhr | 11. November | 2019
Index, ETF, Geldanlage, Risiko

„In der Vergangenheit konnten viele Manager mit ihrer Fondsperformance nicht überzeugen“, sagt Heike Fürpaß-Peter (Lyxor). Spricht das in jedem Fall gegen aktiv verwaltete Fonds? Bild: Eriy Otmg / Lyxor

Wer dieser Tage auf Internetforen und Investmenttipp-Blogs unterwegs ist, könnte meinen, aktiv gemanagte Fonds haben ausgedient. Die Argumente leuchten ein: Fonds sind teuer und tun nicht, was sie versprechen. Als 2018 die Märkte einbrachen, haben es nur wenige geschafft, die Verluste auszugleichen. ETFs werden dagegen als der Stein der Weisen angepriesen. Wer mit Indexfonds auf Marktdynamik vertraut anstatt auf einen Fondsmanager, habe langfristig die besseren Karten, lautet die Devise. Die Wahrheit ist natürlich komplizierter. Und so schlagen beide Lager längst versöhnliche Töne an, wenn es um den Wettstreit zwischen ETFs und aktiv gemanagten Fonds geht. Der Tenor: Beide Instrumente gehören ins Portfolio. Berater sollten Anlegern also Stärken und Schwächen von Aktiv und Passiv präsentieren und dann geschickt kombinieren.

Natürlich: In den vergangenen Jahren haben ETFs einen Boom erlebt. Das Gesamtvolumen passiver Investmentfonds in Europa hat sich laut Morningstar-Statistik seit dem Jahr 2010 mehr als verdreifacht und lag Ende 2018 bei nahezu 1,5 Billionen Euro. Anbieter klassischer Investmentfonds haben den Trend längst gewittert – deshalb fahren einige Fondsgesellschaften inzwischen zweigleisig und haben neben klassischen Investmentfonds auch ETFs im Angebot. Zu den größten Doppel-Anbietern gehören DWS, Amundi und UBS.

Kosten als Renditekiller

ETF-Anbieter argumentieren gerne, dass es einem Großteil der Manager aktiv verwalteter Investmentfonds nicht gelingt, die eigenen Ziele zu erreichen. „In der Vergangenheit konnten viele Manager mit ihrer Fondsperformance nicht überzeugen“, sagt etwa Heike Fürpaß-Peter, Leiterin des ETF-Geschäfts beim Vermögensverwalter Lyxor in Deutschland und Österreich. Das Tochterunternehmen der französischen Großbank Société Générale vergleicht jedes Jahr in einer Studie die Performance aktiver und passiver Fonds miteinander. Es ist ein Punktsieg für die Indexfonds: Schon im Traum-Börsenjahr 2017 schafften es nur 47 Prozent der Manager von aktiv verwalteten Aktienfonds ihren Vergleichsindex zu schlagen. In einem schwachen Börsenjahr wie 2018 waren es sogar nur 27 Prozent.

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Experten begründen das schlechte Abschneiden häufig mit den hohen Kosten. Bei einem aktiv verwalteten Fonds müssen Investoren mit Gebühren von 1,5 bis 2,0 Prozent pro Jahr rechnen, bei passiven Fonds liegen diese meist bei um die 0,3 Prozent. Das setzt die aktiven Manager unter einen enormen Druck: Sie müssen den Markt um 1,2 Prozent schlagen, um mit einem ETF gleichzuziehen. Das könnte die starken Zuflüsse in Richtung passiver Fonds erklären: „Viele Investoren akzeptieren die hohen Managergebühren nicht mehr für eine potenzielle Chance, den Index zu übertreffen,“ sagt Fürpaß-Peter.

Ein weiterer Trumpf, den Befürworter passiver Fonds immer wieder ausspielen, ist die langfristig positive Entwicklung der Aktienmärkte. Das Renditedreieck des Deutschen Aktieninstituts zeigt: Wer beispielsweise 2003 Aktien des deutschen Aktienindex DAX 30 gekauft hätte, hätte bis 2017 jährlich eine durchschnittliche Rendite von 6,7 Prozent einfahren können, trotz zwischenzeitlicher Konjunkturschwächen und der Finanzkrise. Viele Ökonomen sind sich einig, dass Aktien in besonders effizienten Märkten nur im Ausnahmefall unterbewertet oder überbewertet sind. Dadurch sei es eben nahezu unmöglich, den Markt zu schlagen. Auch Thomas Meyer zu Drewer vertritt diese These. „Bevor der Fondsmanager eine Anomalität in bare Münze umsetzen kann, ist sie mitunter schon verschwunden“, argumentiert der Leiter von ComStage ETFs. Wer dagegen in einen breit gestreuten Index wie den MSCI-World investiere, habe langfristig gute Chancen auf positive Erträge.

ETFs haben noch einen Vorteil gegenüber aktiv gemanagten Fonds: Sie sind schneller handelbar. Möchte ein Investor seinen aktiv verwalteten Fonds verkaufen oder einen neuen in sein Portfolio aufnehmen, so geht das nur ein Mal am Tag. ETF-Anleger handeln dagegen während des gesamten Börsentags über verschiedene Market-Maker – und das zum jeweils aktuellen Kurs. „ETF-Anleger können schnell auf Markttrends reagieren und ihre Fonds auch für kurzfristige Handelsideen nutzen“, verspricht Meyer zu Drewer.

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Nicht ohne Risiken

Doch genau darin liegt auch eine Tücke von ETF-Aktienfonds. Morningstar-Analystin Barbara Claus warnt davor, zu viel mit Indexfonds zu handeln: „Privatanleger sind schnell dazu verleitet, voreilig auf Marktgegebenheiten zu reagieren. Viele verpassen dabei den richtigen Trading-Zeitpunkt und nehmen Verluste mit.“ ETFs können ihre Stärken also nur entfalten, wenn Anleger Marktschwankungen aussitzen und auf eine langfristige Wertentwicklung vertrauen.

Das größte Risiko für ETF-Anleger ist das Marktrisiko, denn Indexfonds machen stumpf jede Marktentwicklung mit. Ein aktiver Fondsmanager kann negative Marktszenarien beispielsweise über Hedging absichern oder einen Teil des Kapitals in Bargeld halten. „Manager können Ineffizienzen ausnutzen und sich mit ihrem Fonds gegenpositionieren, wenn alle Anleger in eine Richtung laufen“, sagt Claus.

Ein weiterer Schönheitsfehler von ETFs: Sie enthalten jeden Wert im Index. Selbst in effizienten Märkten sind ja längst nicht alle Indextitel begehrenswert: „Auch im Dax gibt es einige Aktien, die ein Anleger aufgrund der hohen Unsicherheit derzeit vielleicht nicht halten will, beispielsweise Banken. Ein ETF hat diese Papiere aber drin“, erläutert Morningstar-Analystin Claus. Fondsmanager können durch geschickte Titelauswahl eingreifen. Wenn wenige Aktien ein Übergewicht im Index bilden, entsteht ein Klumpenrisiko.

Aktiv gemanagte Fonds haben weitere Vorzüge. Beispielsweise gibt es Strategien, die ein ETF partout nicht abbilden kann. Multi-Asset-Fonds etwa sind das Privileg aktiv verwalteter Fonds und kommen im Passiv-Bereich so gut wie nicht vor. Anleger, die mithilfe von ETFs in verschiedene Asset-Klassen investieren möchten, müssen sich selbst um die Käufe und Verkäufe kümmern. Bei Multi-Asset-Fonds übernimmt das der Fondsmanager. „Anleger geben die Verantwortung ab und müssen, anders als bei ETFs, die Kapitalmärkte nicht selbst im Auge behalten“, sagt Sascha Specketer, Vertriebschef für Invesco in Deutschland.

Natürlich will der richtige Fondsmanager gut gewählt sein. Dabei hilft ein Blick auf die Historie – allerdings nur in Kombination mit anderen Qualitätskriterien, wie Barbara Claus betont. „Es ist wichtig zu schauen, wo die bisherige Performance herkommt und wie viel davon tatsächlich der Managerleistung zuzuordnen ist.“ Ständige Managerwechsel sind ebenfalls mit Vorsicht zu genießen, denn sie können auch Strategiewechsel bedeuten. „Anleger sollten ihr Geld einem Managementteam anvertrauen, das schon lange zusammenarbeitet und einen gemeinsamen Ansatz verfolgt“, betont Specketer. Von Star-Mentalitäten rät er eher ab.

Qual der Wahl

Auch die ETF-Auswahl ist keineswegs narrensicher. Schon bei der Replikationsmethode unterscheiden sich Indexfonds voneinander. Die simpelste Variante ist der physisch replizierende ETF. Er kauft Aktien aus dem Index und baut diesen in derselben Gewichtung nach. So ein Fonds kann vollreplizierend sein, den Index also zu 100 Prozent nachbilden. Er kann aber auch nur teilreplizierend sein, im Fachjargon „Sampling“ genannt. Dann wählt er nur einige repräsentative Einzeltitel aus dem Index aus. Damit gehen allerdings automatisch kleine Abweichungen vom Vergleichsindex einher, der sogenannte Tracking Error. Je kleiner dieser ist, desto besser, sagt Lyxor-Chefin Fürpaß-Peter: „Es ist wichtig, wie exakt ein ETF in der Vergangenheit den zugrundeliegenden Index getrackt hat.“

Physisch replizierende Fonds betreiben häufig Wertpapierleihe, um zusätzliche Erträge zu generieren. Damit verringern sie den Tracking Error, der durch die ETF-Gebühren nicht zu vermeiden ist. Synthetisch replizierende ETFs schaffen es meist, den Index genauer nachzubilden als physisch replizierende Fonds. ETFs mit dieser Replikationsmethode kaufen nicht die Wertpapiere des zugrundeliegenden Index, sondern funktionieren wie Derivate: über Tauschgeschäfte mit anderen Finanzinstitutionen, sogenannte Swaps. Mit denen bilden sie die Wertentwicklung ihres Vergleichsindex nach. Tauschgeschäfte bringen immer ein Ausfallrisiko mit, etwa wenn der Swap-Partner pleitegeht. Darum erscheint diese Anlagestrategie auf den ersten Blick risikoreicher als die der physischen ETFs. Synthetische ETFs unterliegen allerdings wie alle anderen europäischen Fonds den sogenannten Ucits-Richtlinien. Diese legen unter anderem fest, dass nur maximal zehn Prozent des Fondsvolumens bei einem Emittenten liegen darf. Das gilt auch für Swaps. Somit ist das Kontrahentenrisiko sehr gering. Auch bei der Wertpapierleihe besteht ein – wenn auch nur geringes – Ausfallrisiko. Wer einen Anleger berät, der vollkommen auf Gegenparteirisiken verzichten möchte, sollte also auf physisch replizierende ETF ohne Wertpapierleihe verweisen.

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Daneben gibt es Indexfonds-Varianten, die schon fast an aktives Investieren erinnern, zum Beispiel Smart-Beta-ETFs. Ein solcher Fonds gewichtet Unternehmen unter bestimmten Kriterien höher oder niedriger als sein zugrundeliegender Index. Er kann bestimmte Titel sogar weglassen. An dieser Methode scheiden sich die Geister. ComStage-Chef Meyer zu Drewer rät gerade Börsenanfängern von solchen Produkten ab: „Häufig stecken Ideen hinter Smart-Beta-ETFs, die den sehr erfahrenen Anleger erfordern.“ Sascha Specketer von Invesco hält den Ansatz dagegen für ausgesprochen sinnvoll: „Solche Replikationsmethoden machen Sinn, weil viele Indizes schlecht konstruiert sind.“ Schon kleine Veränderungen dank Smart-Beta-Strategie können viel bewirken. „Selbst beim S&P 500 führt es nachweislich langfristig zu einer besseren Performance, alle Werte gleich zu gewichten.“ Barbara Claus ist der Meinung, dass Smart-Beta-ETFs nützlich sind, um die Faktorrisiken eines aktiv gemanagten Fonds im Portfolio auszubalancieren. Wer einen aktiven Fonds im Portfolio hat, der eher zu Wachstumstiteln neigt, kann das Risiko mit einem Smart-Beta-ETF mit dem Faktor Value ausgleichen.

In welchem Markt was bevorzugen?

Aktives und passives Investieren ist längst keine Frage des Entweder-oder mehr, sondern des richtigen Kombinierens, da sind sich die meisten Experten einig. „Früher investierte man passiv oder aktiv – heute setzen Anleger in ihrem Portfolio auf beides“, sagt Thomas Meyer zu Drewer von ComStage. „Gerade in Krisenzeiten und bei Marktverwerfungen kann es sich lohnen, neben den passiven auch aktiv verwaltete Fonds im Portfolio zu haben“, bestätigt Barbara Claus. „Mischfonds können in der Theorie rechtzeitig von Aktien in den Geldmarkt umschichten und auf Marktverwerfungen reagieren.“ Zum Beispiel, wenn bestimmte Branchen den Markt stark dominieren, wie es etwa mit der Technik-„Blase“ um die Jahrtausendwende der Fall war.

Besonders spezielle und illiquide Märkte, etwa in Schwellenländern lassen sich ebenfalls besser aktiv als passiv managen, weil so wenig Handel stattfindet. In illiquiden Märkten taugen Indizes meist wenig. Häufig dominieren dort einige wenige Konzerne die Wertpapierbörse und die Börsenkurse sind wenig aussagekräftig. In liquiden und effizienten Märkten ist ein ETF dagegen die bessere Wahl. Dort ist es durch aktives Management nur sehr schwer möglich, den Markt zu schlagen, wie Statistiken beweisen. Auch in Erholungsphasen, etwa nach einer Krise, hat sich aktives Investieren bislang selten ausgezahlt, erklärt Barbara Claus. Anleihen sieht die Morningstar-Analystin im Niedrigzinsumfeld ebenfalls meist besser in günstigeren passiven Fonds aufgehoben.

Sascha Specketer von Invesco bricht eine Lanze für gute, aktiv gemanagte Rentenfonds. Er empfiehlt ein klassisches Core-Satellite-Portfolio. Den Kern bildet in seinem Modell ein Large-Cap-ETF auf der Aktienseite und ein aktiv verwalteter Rentenfonds. Die Satelliten sollten Berater laut Specketer idealerweise aktiv besetzen, etwa mit Emerging-Markets-Aktien oder Schwellenländertiteln, die eine hohe Überrendite versprechen. Auch für alternative Assetklassen empfiehlt Specketer aktive Fonds als Satellit.

Das Beispiel zeigt: Aktiv verwaltete Fonds haben keineswegs ausgedient, auch wenn der ETF-Siegeszug es manchmal so erscheinen lässt. Solange es ineffiziente Märkte gibt, sind auch Indizes nicht perfekt. Wie so oft im Leben gilt: Die Mischung macht’s.

Hinweis: Der Text erschien zuerst mit Zusatzmaterial in procontra-Printausgabe.

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