Interview mit Helma Sick

„Frauen brauchen eine andere Finanzberatung.“

Helma Sick, die Grande Dame der Finanzberatung, über die Frage, warum sich die Finanzberatung von Männern und Frauen unterscheiden sollte und über geschlechtsspezifische Unterschiede im Anlageverhalten.

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10:03 Uhr | 18. März | 2022
Helma Sick

Helma Sick bezweifelt, dass Frauen spezielle Finanzprodukte brauchen. Vielmehr müsse die Beratung stärker auf deren Bedürfnisse zugeschnitten sein. | Quelle: Quirin Leppert

procontra: Warum beschäftigen sich Frauen nach wie vor zu selten mit Finanzthemen?

Helma Sick: Sie wurden über Jahrhunderte vom Geld ferngehalten. Berufe, die Geld brachten, haben immer nur Männer ausgeübt oder durften Frauen nur mal kurz ausüben, wenn es gerade Männermangel gab, zum Beispiel während der Weltkriege. Hinterher hieß es dann wieder: „Frauen können nicht mit Geld umgehen.“ Bis 1962 durften sie nicht einmal ein Konto eröffnen ohne die Zustimmung des Ehemannes. Dadurch haben sie auch über Generationen hinweg weniger Erfahrung mit Geldthemen.

procontra: Und wie ist die Situation heute?

Sick: Jetzt holen Frauen langsam auf. Aber die alten Vorstellungen halten sich lange in den Köpfen. Und es gibt einen Unterschied zwischen Ost und West: Die durchschnittliche Frauenrente liegt im Westen bei 694 Euro, während sie im Osten bei 1.028 Euro liegt. Frauen im Osten wissen, wie wichtig finanzielle Unabhängigkeit ist.

procontra: Unterscheidet sich das Anlageverhalten zwischen Männern und Frauen?

Helma Sick: Frauen ist es zum Beispiel wichtig, nicht in Kinderarbeit oder Rüstung zu investieren, es sollte schon nachhaltig und sozial verträglich sein. Männer schauen erst einmal auf die Rendite, während Frauen meist die soziale Verträglichkeit wichtiger ist. Das ist ein Fakt.

procontra: Wäre ein spezielles Anlageprodukt für Frauen sinnvoll, um sie für den Kapitalmarkt zu gewinnen?

Sick: Ich bin grundsätzlich dagegen, dass Frauen spezielle Finanzprodukte angeboten werden. Sie brauchen keine eigenen Produkte, sondern eine andere Beratung, weil Frauen eine andere Lebenssituation haben. Knapp 70 Prozent der erwerbstätigen Frauen und nur sechs Prozent der Männer arbeiten in Teilzeit, das spiegelt sich natürlich in der Rente wider. Das ist das wirkliche Problem.

procontra: Immerhin boomt der Markt zum Thema Frauen und Finanzen.

Sick: Finanzberatungen für Frauen schießen aus dem Boden, offenbar hat man verstanden, dass sich mit ihnen Geschäfte machen lassen. Das ist aber alles nur Gendermarketing. Die wirkliche Situation von Frauen zu begreifen und sich für sie einzusetzen, ist etwas ganz anderes.

procontra: Was läuft denn gerade konkret falsch in der Beratung?

Sick: Zum Beispiel geht die Aussage, die in fast jedem Blog, Artikel oder Buch zum Thema Frauenfinanzen getroffen wird: „Frauen investiert in ETFs.“, vollkommen an der Realität vorbei. Man kann doch nicht allen Frauen von 17 bis 77 Jahren ausschließlich Indexfonds als Geldanlage empfehlen.

procontra: Frauen wird nachgesagt, sie seien sparsamer und weniger riskant in der Wahl ihrer Geldanalage. Was zeigen Ihre Erfahrungen aus der Beratungspraxis?

Sick:  Männer fangen früher an zu sparen als Frauen, meist mit Anfang 20, Frauen erst mit Anfang, Mitte 30. Früher kamen Frauen sogar erst dann zu uns in die Beratung, wenn sie ein Schicksalsschlag ereilt hatte. Auch heute fangen sie nach wie vor zu spät mit Investments an mit oft zu geringen Beträgen. Männer agieren hingegen risikofreudiger und überschätzen sich dabei oft, Frauen sind da realistischer. Frauen sollten wissen, was Risiko bedeutet und dass ein Schwankungsrisiko keinen Totalverlust bedeutet. Aber es ist ja auch verständlich, wenn Frauen etwas ängstlicher sind: Frauen verdienen weniger als Männer und wollen das, was sie haben, nicht auch noch verlieren.

procontra: Warum ist eine Beratung speziell für Frauen notwendig?

Sick: Weil Frauen eine andere Lebenssituation haben. Knapp 70 Prozent der erwerbstätigen Frauen und nur sechs Prozent der Männer arbeiten in Teilzeit, das spiegelt sich natürlich in der Rente wider. Die durchschnittliche Rente einer Frau liegt im Westen bei 694 Euro, die von Männern bei 1.167 Euro. Das ist das wirkliche Problem! Und es gibt gerade wieder einen großen Rückschritt in der Emanzipierung, gerade bei Akademikerinnen. Sie ziehen sich wieder in die Familie zurück. Finanzielle Unabhängigkeit ist ihnen nicht so wichtig. Sie vergessen dabei aber, dass jede zweite Ehe in Großstädten geschieden wird. Ein guter Grundsatz für ein Frauenleben sollte sein: „Hope for the Best, prepare for the Worst.“ Das Beste hoffen, auf das Schlimmste vorbereitet sein. Es ist doch wichtig, zu dem Schmerz einer Trennung, nicht auch noch in ein finanzielles Desaster zu geraten.