Value-Investments: „Es gilt, Wertfallen zu vermeiden“
10:12 Uhr | 12. Dezember | 2022
procontra: Die Bewertung von Unternehmen ist heute vermutlich komplexer als in den Anfängen des Value-Ansatzes. Was sind für Sie die entscheidenden Punkte, um Value auszumachen?
Michael Keppler: Die Prinzipien des Value Investing haben sich seit 1934, dem Erscheinungsjahr des Investmentklassikers „Security Analysis: Principles and Techniques“, „Sicherheitsanalyse: Prinzipien und Techniken“ von Benjamin Graham und David Dodd nicht geändert. Laut Warren Buffett werden sie auch in 100 Jahren noch gültig sein – sonst wären es keine Prinzipien. Konkret geht es dabei um simple kaufmännische Erkenntnisse: Ein höherer Buchwert, höhere Cashflows, Gewinne und Dividenden bezogen auf den Kapitaleinsatz sind ceteris paribus niedrigeren Werten vorzuziehen. Sind beispielsweise bei zwei identischen Immobilien die Mieteinnahmen eines Gebäudes höher als bei dem anderen, sollte dieses Gebäude mehr wert sein als das andere.
procontra: Inwieweit wirkt sich die komplexer gewordene Welt auf die Bewertung aus?
Keppler: Was sich geändert hat, sind die Störfaktoren von außen, die die Kursentwicklung heute mehr beeinflussen als in früheren Zeiten. Politische Faktoren und Handelsbeschränkungen sind hier an erster Stelle zu nennen. Sie sind auch schwieriger zu beurteilen als die fundamentale Unternehmensbewertung. Der entscheidende Punkt des Value Investing ist aber unverändert der innere Wert eines Unternehmens. Ebenso wichtig ist jedoch das von Graham erfundene „Margin-of Safety“-Prinzip. Eine Aktie sollte demnach eine gewisse Sicherheitsmarge aufweisen, wonach unerwartete Risiken bereits beim Aktienkauf berücksichtigt werden müssen.
procontra: Wie unterscheiden Sie in einem Umfeld aus stark gesunkenen Aktienkursen und schwächelnder Konjunktur Firmen, die an der Börse zu Unrecht abgestraft werden von Firmen, bei denen ein starker Kursrückgang keine gute Kaufgelegenheit bedeutet?
Keppler: Hier gilt es, „Value Traps“, Wertfallen, weitmöglichst zu vermeiden. Ein gutes Beispiel sind europäische Banken, die häufig heute – mehr als zwölf Jahre nach der Finanzkrise 2008/2009 – immer noch zu einem Drittel ihrer Buchwerte gehandelt werden. Wenn die Buchwerte tatsächlich dreimal so hoch wären wie der Aktienkurs, müssten diese Firmen zerschlagen werden. Sie wären also tot mehr wert als lebendig! Alternativ müssten sie massiv eigene Aktien zurückkaufen. Doch dazu fehlt ihnen das nötige Kapital.
procontra: Das bedeutet?
Keppler: Es sollte klar sein, dass sich diese Banken die nötigen Abschreibungen schlicht nicht leisten können. Die Aufsichtsämter drücken offenbar aufgrund des „Too-Big-to-Fail“-Prinzips immer noch beide Augen zu. Die Verifizierung der Inputdaten ist deshalb für uns von höchster Bedeutung.