Urteil zur Lohngerechtigkeit

Gleicher Lohn unabhängig vom Verhandlungsgeschick?

Ein als „Meilenstein“ bezeichnetes Urteil soll die Lohngerechtigkeit stärken. Arbeitsrechtler Pascal Verma über die Bedeutung des aktuellen Grundsatzurteils für Maklerbetriebe und warum er mit weiteren Klagen rechnet.

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16:02 Uhr | 20. Februar | 2023
Verhandlungsgeschick ist kein Argument für ungleichen Lohn

Bisher galt: Wer gut verhandelt, bekommt mehr Gehalt. Oft haben Frauen dadurch Nachteile. Durch ein aktuelles Urteil könnte sich das demnächst ändern. | Quelle: wildpixel

Um geschlechtsspezifischen Lohnunterschieden einen Riegel vorzuschieben, hat das Bundesarbeitsgericht ein wegweisendes Urteil gefällt (Az.: 8 AZR 450/21). Pascal Verma, Fachanwalt für Arbeitsrecht bei nbs partners, erklärt, was sich mit dem Urteil ändert und worauf Makler- und Finanzbetriebe achten sollten.

procontra: Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat das Recht auf gleichen Lohn für Frauen und Männer gestärkt. Worum ging es bei dem verhandelten Streitfall?

Pascal Verma: Die Klägerin, eine Vertriebsmitarbeiterin, war ab dem 1. März 2017 bei ihrem damaligen Arbeitgeber beschäftigt und hatte mit ihm ein Grundgehalt in Höhe von 3.500 Euro brutto vereinbart. Die Klägerin hatte im Vertrieb auch noch zwei männliche Kollegen. Alle drei Angestellten hatten im Vertriebsaußendienst dieselben Verantwortlichkeiten und Befugnisse. Einer der männlichen Kollegen war 2017 bereits seit 32 Jahren bei dem Arbeitgeber tätig. Der andere Kollege hingegen war erst seit dem 1. Januar 2017 beim Arbeitgeber angestellt. Diesem Mitarbeiter hatte der Arbeitgeber ebenfalls ein Grundgehalt in Höhe von 3.500 Euro brutto angeboten. Das Angebot lehnte der Mitarbeiter jedoch ab und verlangte ein Grundgehalt in Höhe von 4.500 Euro brutto. Darauf einigten sich der Mitarbeiter und der Arbeitgeber schließlich. Die Klägerin verlangte von ihrem damaligen Arbeitgeber die Vergütungsdifferenz zum Gehalt des am 1. Januar 2017 eingestellten männlichen Kollegen und eine Entschädigung wegen einer geschlechtsspezifischen Diskriminierung. Diese Klage hatte in erster und in zweiter Instanz keinen Erfolg. Vom Bundesarbeitsgericht ist der Klägerin hingegen eine Vergütungsdifferenz in Höhe von 14.500 Euro brutto und eine Entschädigung in Höhe von 2.000 Euro zugesprochen worden.

procontra: Wie verteidigte der ehemalige Arbeitgeber der Klägerin den Lohnunterschied?

Verma: Bei dem einen Kollegen berief sich der Arbeitgeber auf die lange Betriebszugehörigkeit als Unterscheidungsmerkmal. Bei dem anderen Kollegen machte der er geltend, dass dieser die Tätigkeit für die zunächst angebotene Grundvergütung nicht aufgenommen und nachverhandelt hatte.

Arbeitsrechtexperte Pascal Verma

Mit dem aktuellen Urteil des Bundesarbeitsgerichts wird unterschiedlichen Gehältern aufgrund des jeweiligen Verhandlungsgeschicks ein Riegel vorgeschoben, erklärt Arbeitsrechtexperte Pascal Verma. | Quelle: nbs partners

procontra: Warum ist das Urteil vom 16. Februar 2023 dennoch wichtig?

Verma: Mit dem Urteil wurde darüber entschieden, ob das bessere Verhandlungsgeschick ein tragfähiges Argument ist, um die Vermutung der Benachteiligung zu widerlegen. Das ist für die Praxis bedeutend. Denn in der Vergangenheit war das sicherlich ein gängiger Erklärungsversuch für geschlechtsspezifische Lohnunterschiede.

procontra: Warum hat das BAG der Klägerin nun Recht gegeben?

Verma: Es hat – wie aus der Pressemittelung hervorgeht – entschieden, dass die Klägerin wegen ihres Geschlechts diskriminiert wurde. In dem Verfahren war unstreitig, dass alle drei Mitarbeiter eine gleichwertige Tätigkeit ausgeübt haben und die Klägerin dennoch ein geringeres Grundgehalt als ihren männlichen Kollegen erhalten hatte. Die erste und die zweite Instanz sind noch der Begründung des Arbeitgebers insgesamt gefolgt und haben dessen Argumente als objektive Kriterien für die ungleiche Vergütung akzeptiert. Die Geschlechterdiskriminierung war auf dieser Grundlage widerlegt. Das Bundesarbeitsgericht ist der Einschätzung der Vorinstanzen nicht gefolgt, soweit sie im „größeren Verhandlungsgeschick“ ein objektives Kriterium für die Ungleichbehandlung sahen. Das Bundesarbeitsgericht nahm vielmehr an, dass die Vermutung der geschlechtsspezifischen Diskriminierung gegenüber dem am 1. Januar 2017 eingestellten Kollegen nicht widerlegt werden konnte.  

procontra: Die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes spricht angesichts des aktuellen Urteils von einem Meilenstein für die Lohngerechtigkeit. Sehen Sie das auch so?

Verma: Ob das Urteil vom 16. Februar 2023 aus juristischer Sicht ein Meilenstein ist, wird sich erst abschließend beantworten lassen, wenn die ausformulierten Entscheidungsgründe vorliegen. Ich gehe davon aus, dass das Urteil vom 21. Januar 2021 bedeutender ist. Damals hatte das BAG festgelegt, dass eine geschlechtsspezifische Diskriminierung bereits vermutet wird, wenn ein Arbeitnehmer/eine Arbeitnehmerin eine geringere Vergütung erhält als ein Kollege des anderen Geschlechts, der die gleiche oder eine gleichwertige Arbeit verrichtet und dass der Arbeitgeber dann diese Vermutung widerlegen muss. Das BAG hat mit seinem Urteil vom 21. Januar 2021 und mit dem Urteil vom 16. Februar 2023 dem seit 2017 geltendem Entgelttransparenzgesetz eine stärkere Kontur verliehen. Dieses Gesetz soll die Durchsetzung des Gebots gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit sicherstellen. Hierzu wurde ein Auskunftsanspruch eingeführt, mit dem die Einhaltung des Entgeltgleichheitsgebots überprüft werden kann – sofern die im Gesetz näher beschriebenen Voraussetzungen erfüllt sind.

Gibt es unterschiedliche Gehälter zwischen Männern und Frauen bei gleicher Tätigkeit?
Pascal Verma, Anwalt für Arbeitsrecht

procontra: Mit welchen Folgen rechnen Sie für Versicherungsmakler- und Finanzberaterbetriebe?

Verma: Es spricht vieles dafür, dass das Urteil für Versicherungsmakler oder Finanzberater keine besonderen Folgen haben wird. Abschließend und seriös kann das aber erst beantwortet werden, wenn die ausformulierten Entscheidungsgründe vorliegen. Dennoch sollten, wie andere Unternehmen auch, Versicherungsmakler und Finanzberater überprüfen, ob es unterschiedliche Gehälter zwischen Männern und Frauen bei gleicher Tätigkeit gibt. Und ob diese auf objektiven Kriterien beruhen.

procontra: Ist mit weiteren Klagen beziehungsweise Auskunftsbestrebungen zu rechnen?

Verma: Sicherlich wird das aktuelle Urteil und der Erfolg der Klägerin auch für andere Personen ein Ansporn sein, gegenüber ihrem Arbeitgeber Auskunft zu verlangen oder auch eine Entgeltdifferenz gerichtlich geltend zu machen. Häufig wird ein Auskunftsverlangen jedoch ins Leere gehen, da keine Rechtsgrundlage besteht. Das Entgelttransparenzgesetz gesteht nämlich nur Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen einen Auskunftsanspruch zu, wenn in dem Betrieb, in dem die Beschäftigung besteht, mehr als 200 Beschäftigte bei demselben Arbeitgeber tätig sind.