Koalitionsvertrag: Was die Ampel für Vermittler bringt
Es ist vollbracht: Gut acht Wochen nach der Bundestagswahl haben Grüne, FDP und SPD an diesem Donnerstag einen gemeinsamen Koalitionsvertrag präsentiert, der die Grundlage für das gemeinsame Handeln in den kommenden vier Jahren liefern soll. Insgesamt 177 Seiten weist der Vertrag auf, der mit „Mehr Fortschritt wagen“ über- und mit „Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ untertitelt ist.
Neben mehr Klimaschutz, der Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro und der Einführung einer Kindergrundsicherung finden sich im Vertrag auch zahlreiche, für die Arbeit der Vermittler wichtige Aspekte. Genauso wichtig sind die Punkte, die nicht im Vertrag zu finden sind.
Ein Überblick:
Rente: Kürzungen werden ausgeschlossen
Rentenkürzungen und Beitragserhöhungen wird es mit einer Ampel-Koalition nicht geben. Das Mindestrentenniveau soll in den kommenden vier Jahren bei 48 Prozent stabilisiert werden, auch der Beitragssatz soll nicht über 20 Prozent steigen. Auch eine Anhebung des Renteneintrittsalters schließen die Parteien aus. Ein solcher Schritt war zu erwarten gewesen, auch wenn in diesem Jahr zahlreiche Wissenschaftler vor stark steigenden Sozialausgaben gewarnt hatten, sollte die Politik nicht an einer der drei Stellschrauben (Niveau, Beiträge, Renteneintrittsalter) drehen.
Um die Rente zukunftsfest zu machen, haben sich die Parteien auf den Vorschlag der FDP verständigt, eine teilweise Kapitaldeckung in der gesetzlichen Rentenversicherung einzuführen. „Diese teilweise Kapitaldeckung soll als dauerhafter Fonds von einer unabhängigen öffentlich-rechtlichen Stelle professionell verwaltet werden und global anlegen“, heißt es im Vertrag. Und weiter: „Der kapitalgedeckte Teil der gesetzlichen Rente muss für das Kollektiv der Beitragszahler dauerhaft eigentumsgeschützt sein.“ Die Regierung hat folglich in finanziellen Notlagen kein Zugriffsrecht auf das Geld – eine Befürchtung, die von Gegnern eines solchen Modells immer wieder vorgebracht worden war. Zudem soll das umlagefinanzierte System durch eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen und von älteren Arbeitnehmern sowie durch qualifizierte Einwanderung gestärkt werden.
Für Selbstständige soll es künftig eine Pflicht zur Altersvorsorge geben. So sollen diese künftig ebenfalls in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen. Allerdings soll es für sie eine „einfache und unbürokratische“ Möglichkeit zu einem Opt-out geben – sie können sich alternativ also auch privat absichern. Voraussetzung hierfür ist, dass ihre private Altersvorsorge insolvenz- und pfändungssicher ist und zu einer Absicherung oberhalb des Grundsicherungsniveaus führt. Im Gegensatz zur Riester-Rente sollen künftig auch Selbstständige Zugang zur staatlich geförderten privaten Altersvorsorge haben.
Seite 1: Die Pläne der Koalition für die Rente
Seite 2: Die Pläne der Koalition für die Altersvorsorge
Seite 3: Die Pläne der Koalition für Beratung und Pflege
Seite 4: Die Pläne der Koalition in der Wohnungspolitik
Altersvorsorge: Grundlegende Reformen für private Vorsorge
Eine ausreichende Altersvorsorge basiert auf drei Säulen: der gesetzlichen Rente, der betrieblichen sowie der privaten Altersvorsorge. Daran will die Ampel-Koalition nicht rütteln, sondern bekennt sich zum Drei-Säulen-System: „Neben der gesetzlichen Rente bleiben die betriebliche wie private Altersvorsorge wichtig für ein gutes Leben im Alter“, heißt es im Koalitionsvertrag.
Als konkrete Vorhaben haben sich die Ampel-Parteien unter anderem darauf verständigt, die betriebliche Altersversorgung zu stärken. So sollen künftig Anlagemöglichkeiten mit höheren Renditen ermöglicht werden.
Zugleich hält die Ampel-Koalition am Sozialpartnermodell, der sogenannten Nahles-Rente, fest. Hier fordern die Parteien, dass dieses endlich umgesetzt werden soll. Bislang ist erst ein einziges konkretes Vorhaben – für die Beschäftigten der Talanx-Gruppe – geplant. Noch immer steht allerdings die Zustimmung der Finanzaufsicht BaFin aus.
Die private Altersvorsorge soll hingegen grundlegend reformiert werden – das klingt sehr nach einer Abkehr von der Riester-Rente. Geprüft werden soll hingegen die Einführung „eines öffentlich verantworteten Fonds mit einem effektiven und kostengünstigen Angebot mit Abwahlmöglichkeit“. Alternativ sollen ebenfalls private Anlageprodukte geprüft werden. Diese müssen aber höhere Renditen als die Riester-Rente aufweisen. Gefördert werden sollen dabei vor allem untere Einkommensgruppen. Was diese Prüfungen ergeben werden, bleibt indes abzuwarten. Für bestehende Riester-Verträge – immerhin rund 16 Millionen – soll es auf jeden Fall einen Bestandsschutz geben.
Der Sparerpauschbetrag soll zudem auf 1.000 Euro erhöht werden – derzeit dürfen Sparer 801 Euro ihrer Einkünfte aus Kapitalvermögen steuerfrei behalten.
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Beratung: Keine Nachrichten sind gute Nachrichten
Gute Nachrichten für Vermittler: Ein Verbot der Provisionsvergütung oder die Einführung eines Provisionsdeckels für Lebensversicherungen scheinen vom Tisch – im Koalitionsvertrag finden sich diese Punkte nicht wieder. Auch die Übertragung der Aufsicht über Finanzanlagenvermittler von den Industrie- und Handelskammern an die BaFin wird im Koalitionsvertrag nicht erwähnt.
Lob erhielten die Ampel-Parteien hierfür in einer ersten Reaktion von Martin Klein, Vorstand des Branchenverbands Votum. „Es ist zu begrüßen, dass sich Maximalforderungen wie ein generelles Provisionsverbot, eine Erweiterung der BaFin-Aufsicht auf 34f-Vermittler und anderer Unsinn nicht durchsetzen konnten“, erklärte Klein in einem Pressestatement.
Pflege: Freiwillige Vollversicherung soll geprüft werden
Eines der maßgeblichen Themen, die es anzupacken gilt, ist die Pflege. Insbesondere die immer stärker steigenden Eigenanteile wurden für viele Pflegebedürftigen zum Problem. Hier hat sich die Koalition vorgenommen, diese zu begrenzen und damit planbar zu machen. In einem ersten Schritt soll die noch von Gesundheitsminister Jens Spahn angeschobene Reform, die unter anderem prozentuale Zuschüsse zu den Eigenanteilen vorsieht, evaluiert werden. Darüber hinaus soll unter anderem die Ausbildungskostenumlage aus den Eigenanteilen herausgenommen werden.
Darüber hinaus soll die Einführung einer Pflegevollversicherung geprüft werden, über die sämtliche Pflegekosten abgesichert werden können. Eine solche soll nach den Vorstellungen der Ampel-Parteien paritätisch finanziert werden, der Abschluss soll freiwillig sein. Über die Details soll eine Expertenkommission beraten – Vorschläge sollen spätestens 2023 vorliegen. Private Pflegeversicherungen sollen hierdurch jedoch nicht schlechter gestellt werden, sondern vergleichbare Möglichkeiten erhalten.
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Wohnen: Flexiblere Gestaltung der Grunderwerbssteuer
Wohnen wird vielfach als die soziale Frage des 21. Jahrhunderts angesehen – entsprechend tragen die Koalitionsvereinbarungen auch die Handschrift der FDP. Im Vertragsentwurf geben die Parteien das Ziel von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr aus, davon sollen 100.000 öffentlich gefördert werden. Das Ziel von 100.000 Sozialwohnungen hatte die SPD auch in ihrem Wahlprogramm formuliert.
Auch die vergangene Bundesregierung hatte sich ehrgeizige Bauziele vorgenommen – 375.000 neue Wohnungen sollten nach den Plänen der Großen Koalition pro Jahr neu gebaut werden. Dieses Ziel erreichte die Koalition jedoch nicht: Im vergangenen Jahr lag die Zahl der fertiggestellten Wohnungen bei 306.376, in den Jahren zuvor noch darunter. Um das nun formulierte Ziel auch umsetzen zu können, will die Ampel-Koalition ein eigenes Bauministerium schaffen – bislang war das Thema Bauen im Innenministerium beheimatet.
Auch das nun vereinbarte Mietmoratorium findet sich im Wahlprogramm der Sozialdemokraten wieder. In angespannten Wohnungsmärkten sollen die Mieten über drei Jahre nur um maximal 11 Prozent steigen dürfen. Derzeit liegt diese sogenannte Kappungsgrenze vielerorts bei 15 Prozent.
Zudem will die Ampel-Koalition mehr Menschen in Deutschland den Traum von Eigenheim ermöglichen. Dies soll durch eine „flexiblere Gestaltung der Grunderwerbssteuer“ erreicht werden. Hier könnten beispielsweise Freibeträge eingeführt werden.
Wie geht es weiter?
Bevor Olaf Scholz zum Kanzler gewählt und der Koalitionsvertrag in Kraft treten kann, müssen noch die Parteien dem am Mittwoch vorgelegten Entwurf zustimmen. Bereits ab diesem Donnerstag bitten die Grünen ihre Mitglieder zehn Tage lang zur Abstimmung.
Bei der SPD werden nicht die Parteimitglieder, sondern nur rund 600 Delegierte über den Koalitionsvertrag abstimmen. Dies soll auf einem außerordentlichen Bundesparteitag geschehen, der für den 4. Dezember terminiert ist.
Ein Tag später wird dann die FDP ebenfalls auf einem Parteitag über den Vertrag abstimmen lassen. Auch wenn bei den Grünen möglicherweise mit Kritik aufgrund der nicht weit genug gehenden Klimaschutzmaßnahmen zu rechnen ist, gilt eine Zustimmung aller Parteien als weitgehend sicher.
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